
Teil 3, 2020
Grande Traversata delle Alpi
GTA
Tom Schilling
Für meine Mutter
Impressum
Auflage Juni 2024
© Tom Schilling, Dresden, Deutschland
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Inhalt
- Vorbereitung
- Fehlstart
- Dresden → Turin → Fenestrelle
- Fenestrelle → Zelt am Lago d' Albergian
- Lago d' Albergian → Didiero
- Didiero → Bout du Col
- Bout du Col → Alpe Crosenna
- Alpe Crosenna → Rifugio Barant
- Rifugio Barant → Lago Superiore
- Lago Superiore → Valle delle Giargiatte
- Valle delle Giargiatte → Pontechianale
- Pontechianale → Rifugio Melezè
- Rifugio Melezè → Campo Base
- Campo Base → Gias dell'Oserot
- Gias dell'Oserot → Pietraporzio
- Pietraporzio → Rifugio Guglielmo Migliorero
- Rifugio Guglielmo Migliorero → Passo Tesina
- Passo Tesina → Laghi della Valletta
- Laghi della Valletta → Pian del Valasco
- Pian del Valasco → Lago Brocan
- Lago Brocan → Campeggio Sotto il Faggio
- Campeggio Sotto il Faggio → Campeggio Il Bosco
- Campeggio Il Bosco → Palanfrè
- Palanfrè → Forte Colle Alto
- Forte Colle Alto → Rifugio Don Barbera
- Rifugio Don Barbera → Upega
- Upega → Rifugio La Terza
- Rifugio La Terza → Rifugio Allavena
- Rifugio Allavena → Rifugio Muratone
- Rifugio Muratone → Cima Tramontina
- Cima Tramontina → Ventimiglia
- Ventimiglia
- Turin
- Heimflug


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Letzter Teil der Grande Traversata delle Alpi (GTA), begangen im September 2020.
L 434 km, O 2804 m, U 0 m, H 24800 m, R 26100 m, Z 30 Tage
Inhalt
- Vorbereitung
- Fehlstart
- Dresden → Turin → Fenestrelle
- Fenestrelle → Zelt am Lago d' Albergian
- Lago d' Albergian → Didiero
- Didiero → Bout du Col
- Bout du Col → Alpe Crosenna
- Alpe Crosenna → Rifugio Barant
- Rifugio Barant → Lago Superiore
- Lago Superiore → Valle delle Giargiatte
- Valle delle Giargiatte → Pontechianale
- Pontechianale → Rifugio Melezè
- Rifugio Melezè → Campo Base
- Campo Base → Gias dell'Oserot
- Gias dell'Oserot → Pietraporzio
- Pietraporzio → Rifugio Guglielmo Migliorero
- Rifugio Guglielmo Migliorero → Passo Tesina
- Passo Tesina → Laghi della Valletta
- Laghi della Valletta → Pian del Valasco
- Pian del Valasco → Lago Brocan
- Lago Brocan → Campeggio Sotto il Faggio
- Campeggio Sotto il Faggio → Campeggio Il Bosco
- Campeggio Il Bosco → Palanfrè
- Palanfrè → Forte Colle Alto
- Forte Colle Alto → Rifugio Don Barbera
- Rifugio Don Barbera → Upega
- Upega → Rifugio La Terza
- Rifugio La Terza → Rifugio Allavena
- Rifugio Allavena → Rifugio Muratone
- Rifugio Muratone → Cima Tramontina
- Cima Tramontina → Ventimiglia
- Ventimiglia
- Turin
- Heimflug
Vorbereitung
2017 hatte ich zusammen mit meinem Freund Albi die Durchwanderung des westlichen Alpenbogens, die wir 2013 und 2014 auf der GTA unternommen hatten, auf der französischen Seite beendet. Ich war damals der Meinung, daß es auf der italienischen Seite nicht genügend Platz gibt. Wie ein nochmaliger Blick auf die Karte zeigte, war das Quatsch und ich wollte dieses Jahr allein auf der originalen GTA-Route bis zum Mittelmeer gehen.
Zur Orientierung hatte ich wieder den Rother Wanderführer von 2013 dabei und mir außerdem OSM-Karten ausgedruckt.

Wir hatten 2014 kurz nach dem Susa-Tal aufgehört, also plante ich den Start für dieses Jahr von Fenestrelle aus. Die Alpenfestung wird von vielen Besuchern angesteuert und ist von Turin aus gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Schon weit voraus im April hatte ich mir in der Erwartung, daß Corona im Herbst bestimmt kein Thema mehr ist, direkt bei Lufthansa zwei Flüge gebucht, mit denen ich zehn Uhr in Turin wäre und einen halben Tag Zeit hätte, um mit Zug und zwei Busverbindungen am Nachmittag bis Fenestrelle zu kommen. Den Rückflug hatte ich von Genua bis Dresden für den Nachmittag des 29. September gekauft. Entlang des Mittelmeers existiert eine Bahnstrecke, die den Flughafen ansteuert.
Am 30. Juni schrieb mir Lufthansa, daß der frühe Hinflug und der späte Rückflug von und nach Dresden ausfallen, und bietet mir als Ersatz jeweils einen Abendflug am Vortag und einen Weiterflug am nächsten Morgen an. Zähneknirschend buche ich mir Übernachtungen in Frankfurt für den Hinflug und München für den Rückflug und stimme dem Lufthansa-Vorschlag zu. Ich würde also am 27.8. 17:45 Uhr nach Frankfurt abfliegen und am Morgen des 30.9. zurück sein.
Die erste Corona-Welle war im Frühjahr vorübergegangen. Besonders in Norditalien hatte die Epidemie zu Beginn viele Tote gefordert. Dresden war dagegen kaum betroffen, es gab keine Masken und Tests, von Impfungen ganz zu schweigen. Bisher war ich mit einem Tuch vor der Nase beim Einkaufen und in der Straßenbahn gut durchgekommen.
Diesen Bericht habe ich im November 2023 nach meinen Erinnerungen und nach Audioaufzeichnungen aufgeschrieben, die ich während der Tour gemacht hatte.
Fehlstart
Mittags will ich online einchecken und stelle fest, daß meine Buchungsnummer nicht im System bekannt ist. Schlimmes ahnend, lasse ich mich von meinem Bruder zum Flughafen fahren, so daß ich dort noch zwei Stunden Zeit habe. Das nützt aber nichts, der Flughafen ist leer und heute geht kein Flug mehr nach Frankfurt.
Vom Parkplatz vor dem Flughafengebäude rufe ich bei Lufthansa an und versuche herauszufinden, was schiefgelaufen ist. Meine Buchungsnummer gibt es noch, aber keine Flüge. Heute geht nichts mehr. Für morgen Vormittag kann ich einen Hinflug bekommen, der 15:40 in Turin ist. Bis zum Abend nach Fenestrelle zu kommen, ist sportlich, aber machbar. Rückflüge von Genua gibt es nicht mehr. Nachdem sich die Frau am Telefon vergewissert hat, daß Turin als alternativer Abflugort in Frage kommt, schlägt sie mir einen Flug einen Tag eher als geplant früh 6:30 Uhr von Turin vor. Mir gehen also schon zwei Wandertage verloren, ich muß mir eine Nacht in Turin um die Ohren schlagen, damit ich rechtzeitig auf dem Flugplatz bin, und das Geld für die Übernachtungen in Frankfurt und München bekomme ich auch nicht wieder. Der neue Rückflug geht über Frankfurt. Was solls, ich willige ein.
Dresden ↣ Turin ↣ Fenestrelle
Heute klappt das mit dem Fliegen, ich lande pünktlich 15:40 Uhr in Turin.



Der Bus vom Flughafen in die Stadt kommt nach 20 Minuten, fährt allerdings ohne mich ab, weil ich den Zettel links oben am Fahrplan übersehen hatte, der sagt, daß man die Tickets drinnen im Gebäude kaufen muß. Ich hatte mich auf die Aussage im englischen Text auf dem Fahrplan verlassen, daß Tickets beim Fahrer gekauft werden können. Auf einem internationalen Flughafen ist es sicher zu viel verlangt, diese Information auch in einer Fremdsprache bereitzustellen. Dreißig Minuten später besteige ich den nächsten Bus mit gültigen Tickets.

Ich fahre zum Porta Nuova, kaufe gegenüber dem Bahnhof im Decathlon eine Gaskartusche und laufe zum Porta Susa. Dort kaufe ich mir am Automaten ein Ticket und besorge mir hinter dem Bahnhof noch Brot und ein Feierabendbier. Zurück am Bahnhof steige ich in einen Zug, der seltsamerweise 5 Minuten früher abfährt als draußen auf dem Abfahrtsschild angegeben und auch nicht den Abzweig nach Pinerolo nimmt. Der Schaffner klärt mich auf, daß ich im falschen Zug bin. Ich nehme in Monoalieri den ersten Zug in Gegenrichtung bis Lingotto, verpasse aber trotzdem den Zug nach Pinerolo, der 5 Minuten später pünktlich abgefahren war.
Leider haben sich durch die Verzögerung und Verirrungen alle Verbindungen auf eine einzige noch mögliche reduziert. Der nächste Zug nach Pinerolo fährt eine Stunde später. Diesmal vergewissere ich mich aufmerksam, daß der Zug auf Gleis 3 abfährt. Wieder kam kurz vor der Abfahrt ein anderer Zug auf diesem Bahnsteig an. Ich gehe nochmal zur großen Übersichtstafel in der Abfahrtshalle und siehe da, jetzt steht da Gleis 4! Endlich sitze ich im richtigen Zug.
In Pinerolo laufe ich zur Piazza Cavour, wo laut Rome2Rio die Busse ins Gebirge abfahren. Die letzte Verbindung wird heute 21:18 Uhr der Bus 282 nach Perosa Argentina sein. Von dort fährt ein letzter Bus der Linie 275 um 22:35 Uhr nach Fenestrelle, wo er 23 Uhr ankommt. Leider fehlt auf der Abfahrtstafel die Linie 282. Ist sie nur abgefallen oder hat man das Schild absichtlich entfernt? An dieser Station steht niemand, den ich fragen könnte. Einen Fahrplan gibt es auch keinen. Mir bleibt nichts übrig, als abzuwarten. Es beginnt zu regnen.

Kurz nach der planmäßigen Abfahrtszeit kommt tatsächlich der Bus. Wieder stellt sich das Bezahlproblem. Die Tabakläden, in denen man in Turin Tickets erwerben kann, hatten längst zu und der Raum hinter dem Fahrer war mit Klebeband abgesperrt. Einige Turiner waren im Bus, die alle Dauerfahrkarten hatten, und mir war klar, daß ich nicht an ein Ticket kommen werde. Ich setze mich still auf einen freien Platz und fahre bis zur Endstation schwarz. Am Ziel frage ich den Fahrer, ob ich irgendwo ein Ticket kaufen kann. Er meint, das geht nicht. Er bestätigt mir aber, daß der Bus nach Fenestrelle in einer halben Stunde kommen wird.
An der Busstation in Perosa bin ich ebenfalls der einzige Mensch. Im Ort scheinen die Bürgersteige schon hochgeklappt zu sein, niemand läßt sich blicken. Ich stelle mich eine Weile in einem Bushäuschen unter. Als die Abfahrtszeit näher rückt, gehe ich doch lieber an die Straße, denn ich will gesehen werden. Zehn Minuten nach dem Abfahrtstermin sehe ich einen Bus kommen, der im Fahrgastraum und auf dem Schild schon das Licht gelöscht hatte. Ich gebe Handzeichen und er hält. Tatsächlich ist das der Bus nach Fenestrelle. Der Busfahrer knipst das Licht an, ich steige ein und erkläre dem Busfahrer sofort, daß ich kein Ticket habe. Kein Problem, er nimmt mich umsonst mit und weigert sich auch, Geld von mir anzunehmen.
Ich bleibe für die gesamte Fahrt der einzige Fahrgast. Zum letztmöglichen Zeitpunkt an diesem Tag erreiche ich meinen Ausgangsort. Ich bin glücklich, daß letztlich alles geklappt hat.
In Fenestrelle will ich auf dem Zeltplatz Campeggio Serre Marie übernachten. Das Tor ist abgeschlossen und ich stehe etwas bedeppert davor. Es gibt keine Lücke, durch die ich hindurchpassen würde. Damit hatte ich nicht gerechnet. Auf dem Platz sehe ich einen Mann herumlaufen. Er erklärt mir, daß er eingeschlossen ist und leider keinen Schlüssel hat. Er ruft eine Nummer an und auch ich probiere es mit der Nummer vom Zeltplatz-Schild, aber niemand nimmt ab. Ich soll am Morgen wiederkommen. Also läuft es heute doch auf Wildcampen hinaus.
Kurz nach der Bachquerung finde ich einen Flecken hoher Wiese neben dem Weg und baue im Schein meiner Stirnlampe das Zelt auf. Ich habe keinen Nerv mehr, im Dunkeln nach etwas Sichtgeschützterem zu suchen. Nach einem kurzen kalten Abendbrot schlafe ich mit Blick auf die hell beleuchtete Festungskette ein. Der Regen tröpfelt aufs Zelt.

Fenestrelle ↣ Zelt am Lago d' Albergian

Nachts und am Morgen kamen einige wenige Autos vorbei, die mich auch gesehen haben dürften, aber niemand nimmt Anstoß an meinem Zelt. Früh bin ich trotz der etwas buckligen Wiese ausgeschlafen, die Wanderung kann beginnen. Ich starte um neun Uhr, nachdem ich von Flugzeug- auf Wanderkonfiguration umgepackt habe. Nach 2 Kilometern treffe ich bei Laux auf die GTA.

Es regnet immer noch und ich hole nur ab und zu die Kamera heraus, um die vielen an den Bäumen hängenden Holzgesichter abzulichten.



Heute geht es darum, Höhe zu gewinnen. Im Rother Wanderführer ist die heutige Etappe mit neuneinhalb Stunden und 1400 Metern hoch und runter die längste Etappe der GTA und ich habe nicht vor, das als Einstieg mit maximal vollgepacktem Rucksack zu machen. Ich werde die Etappe irgendwo teilen. Die erste Rast lege ich nach 600 Höhenmetern an einer Quelle ein, an der ich nochmal Wasser tanke.

Kurz danach weiche ich von der GTA auf eine parallel verlaufende Route ab, die an den Laghi dell'Albergian vorbeiführt. Gegen 15:30 Uhr erreiche ich auf einem kleinen Plateau einen ehemaligen Militärstützpunkt neben dem See. Ich sehe mir das verfallene Gebäude ausführlich an und nutze eine Regenpause, um Mittag zu machen. Es gibt Rajma Masala (rote Bohnen) eine indische Suppe, von der ich zwei Portionen mithabe.


Ich erkunde auch den Lago d' Albergian, der sehr malerisch daliegt. Direkt am Ufer haben sich vermutlich durch Eis gleichmäßige Bodenwellen gebildet, die ein komfortables Übernachten erschweren würden. Nach der Pause steige ich zunächst auf dem Weg parallel zur GTA weiter das Tal hoch, kehre dann aber um, weil ich vermutlich im engen Tal bis zum Paß keinen ähnlich schönen Zeltplatz finden werde. Ich schlage mein Zelt auf einer kleinen Insel im Bach auf, der vom See herunterkommt. Vor herabfallenden Steinen bin ich an dieser Stelle gut geschützt.


Lago d' Albergian
Zelt am Lago d' Albergian
Den ganzen Tag lang habe ich heute trotz Wochenende keinen Menschen getroffen. Bei mir stellt sich ein seltsames Gefühl der Verlassenheit ein.
Lago d' Albergian ↣ Didiero
Abends beginnt es wieder zu regnen, dann gibt es Wetterleuchten und schließlich schlagen Blitze rund um mich ein. Ich liege wie immer bei Gewitter ängstlich wach. Eigentlich habe ich noch viele höhere Berge rundum, warum sollte es ausgerechnet bei mir einschlagen?
Am Morgen wundere ich mich, warum sich am Fußende Innen- und Außenzelt berühren. Des Rätsels Lösung war eine dicke Schicht Schnee und Eis auf meinem Fußende. Auf dem Boden rundrum ist nichts liegengeblieben, dafür auf meinem Zelt umso mehr. Ich schüttle es ab und warte, bis die Morgensonne über den Hügel steigt und das Zelt trocknet.


9:30 Uhr gehe ich los und komme bald in eine Höhe, wo eine dünne Schneedecke liegengeblieben ist. Ich ziehe die Handschuhe an und bastle mir aus meinem Schlauchschal (bei der Armee hatten wir den liebevoll "Oma" tituliert) eine Mütze. Weiter oben stehen noch mehr Militärruinen. Zumindest als Regenunterstand mit einer provisorischen Bank könnte man die noch nutzen. Zum Übernachten wären sie mir zu dreckig.




Der Schnee verschwindet auf der Südseite schnell wieder. Jetzt zieht die Cascata del Pis die Blicke auf sich, ein hübscher Wasserfall in einer Felswand. Heute geht es die ganzen 1400 Höhenmeter wieder abwärts, die ich mühselig gewonnen hatte.

Die im Wanderführer beschriebene Transportmöglichkeit von Balsiglia nach Didiero nutze ich nicht. So schlimm ist der Weg auch wieder nicht. Statt der 4 Kilometer auf Asphaltstraße konnte ich auf der anderen Bachseite auf dem schönen "Weg des Wassers" gehen. In Didiero angekommen, bekomme ich im Posto Tappa für 50 € einen Schlafsaal für mich alleine. Ich konnte warm duschen, hole mir ein Bier und setze mich auf die Terrasse vor dem Haus.


Unterwegs traf ich einen Italiener, der auch auf dem GTA unterwegs ist, allerdings viel schneller als ich. Er war vor 28 Tagen am Nufenenpass gestartet und will die ganze Strecke bis ans Meer in weiteren 17 Tagen in einem Stück schaffen. Die heutige Etappe 37 des Wanderführers, für die ich zwei Tage gebraucht hatte, hat er natürlich in einem Tag bewältigt. Er sprach gut Englisch und wir unterhalten uns angeregt beim Abendbrot. Vermutlich werde ich ihn nie wiedersehen.
Didiero ↣ Bout du Col
Im Ort war es nachts wunderbar still. Sehr ausgeschlafen starte ich am Morgen nach dem Frühstück schon 8:30 Uhr und mache noch ein Bild vom Wandgemälde am Brunnen. Am Ortsausgang steht eine große Holzplastik.


Wandbild am Brunnen in Didiero
Schnitzkunst
Eine Viertelstunde später gelange ich zum Eingang eines Minenschachts. Auf der Wiese davor hätte ich vermutlich auch das Zelt aufschlagen können. Der Eingang ist verschlossen und niemand läßt sich blicken.




13 Uhr sehe ich in der Ferne Ghigo di Prali. Das ist ein größerer Ort, wo es bestimmt ein Hotel gäbe. Besser wäre noch eine Übernachtung auf dem Zeltplatz hinter dem Ort. Als ich in Ghigo di Prali ankomme, beginnt es zu regnen. Ich sitze das Gewitter eine Stunde lang unter einem Vordach am Bankautomaten aus. 16 Uhr öffnet der Laden und ich hole mir zwei Äpfel, eine Wurst und zwei kleine Pappen Wein für den heutigen und morgigen Abend.

Mein Plan war eigentlich, auf dem Campingplatz zu übernachten und morgen die im Wanderführer beschriebene Hauptroute zu nehmen, die zwei Lifte zum Bric Rond. Leider ist der Lift nicht in Betrieb, was mir schon mein Mitwanderer prophezeit hatte. So gehe ich die Alternativroute das Valle Germanasca entlang. Ich werfe von der anderen Bachseite aus einen Blick auf den Zeltplatz, aber irgendwie sieht der mir zu zivilisiert und quirlig aus, als daß ich da heute schlafen möchte. Für den nächsten Tag war Sonnenschein angesagt, für den übernächsten schon wieder Regen. Ich gehe weiter, um heute noch ein paar Meter zu machen.


Lift außer Betrieb
Campeggio Lago Verde



Bis ich 18:30 Uhr die letzten Siedlungen hinter mir gelassen hatte, gehe ich noch bergauf, dann suche ich mir einen Platz für mein Zelt im Wald, etwas abseits des Weges. Der Boden aus Kiefernnadeln ist wunderbar weich und von einigen hübschen Pilzen bewachsen. Zum Abendbrot mache ich mir eine Packung Pilz-Risotto von DM warm.


Bout du Col ↣ Alpe Crosenna
Am Abend erschreckt mich ein Reh mit lautem Gebell ganz in der Nähe. Nachts frischt der Wind auf und ich liege wach und versuche mich zu erinnern, ob irgendwo abgestorbene Bäume standen, die eventuell auf mein Zelt kippen könnten. Eigentlich war alles OK, ich hatte bei der Zeltplatzwahl darauf geachtet, war mir nur jetzt nicht mehr sicher.
Weil die Sonne mich früh nicht erreicht hat, brauche ich lange, um mich zum Aufstehen zu motivieren. Kurz nach neun Uhr geht es endlich los.


Aufstieg zum Lago Verde
Lago Verde mit Rifugio
Das Rifugio am Lago Verde war das gestrige Etappenziel des italienischen GTA-Wanderers. Aber natürlich ist er längst weg, als ich am Mittag dort ankomme. Auch für mich ist eine Übernachtung hier viel zu früh. Ich ruhe mich einen Moment aus und gehe weiter.
Für den Weiterweg vom Rifugio hatte ich mir selber in OSM eine Route gesucht, die nach Süden über den Col de Valpreveyre / Passo Bucie für ein kurzes Stück über die französische Grenze ging. Ich hatte genug Lebensmittel mit, um nicht in Orte absteigen zu müssen, und war auch nicht auf Hütten angewiesen. Wie immer bei Routen, über die ich nichts weiß, war ich gespannt, was mich erwartet. Waren das Bergsteigerpfade oder würde auch ich mit 20 Kilo auf dem Rücken da durchkommen?

Der Weg war problemlos wanderbar. Bisher war der Tag sonnig und der Himmel wolkenlos, aber als ich Frankreich über den Col Bouchet / Col Bucie wieder verlasse, empfängt mich in Italien dichter Nebel. Gleich hinter dem Paß liegt das Bivacco Nino Soardi, an dem zwei Leute eine neue Terrasse bauen. Direkt daneben lagert eine Gruppe von drei Wanderern im Nebel bei Lärm und Dieselgestank des Kompressors. Ein absurder Anblick. Ich sage den Leuten, daß 20 Meter weiter schönster Sonnenschein herrscht, aber sie sind eh fertig und schon im Aufbruch begriffen.

Unterhalb des Biwaks komme ich an einer Quelle vorbei. Wenn hier nicht gerade gebaut würde, könnte man bestimmt schön im Biwak übernachten.
Ich durchquere eine riesige Schafsherde, wo jede Bewegung von mir in Richtung eines Tieres eine Flucht auslöst. Weil ich eine Massenpanik vermeiden will, komme ich nur sehr langsam voran.

Auf dem endlos langen Abstieg bemerke ich, daß ich mir eine Blase gelaufen habe. Kurz vor der Dunkelheit finde ich oberhalb der Alpe Crosenna meinen Schlafplatz in einer locker bewaldeten Moränenlandschaft. Wo zwei Bäche zusammentreffen, wurde etwas Geröll aufgeschüttet und es sind kleine waagerechte Flächen entstanden. Vor ein oder zwei Jahren ist irgendwas hier durchgerauscht und hat eine Schneise mit vielen Baum-Leichen hinterlassen. Ich brauche eine Weile, um einen schönen Platz zu finden, der nicht frisch von Kühen zugeschissen wurde. Auf der anderen Talseite höre ich Kühe läuten.
Zum Abendessen gibt es die dritte meiner Wasser enthaltenden Fertiggerichte, wieder eine indische Suppe. Bleibt für morgen noch eine Gemüsepfanne, dann sind alle schweren Hauptmahlzeiten verbraucht und der Rucksack ein Kilo leichter. Mit einem kleinen Rotwein beschließe ich den Tag.
Alpe Crosenna ↣ Rifugio Barant
Ich schlafe sehr gut. Früh braucht die Sonne lange, bis sie mein Zelt erreicht, das vom Tau naß geworden war. Ich komme dementsprechend spät aus den Federn.

Von meinem Schlafplatz geht der Weg 400 Meter aufwärts durch Wald. Von unten sehe ich keinen Pfad, denn im Wald lassen sich die Wege gut verstecken. Nach 400 Höhenmetern wird der Anstieg geringer und ich mache eine Rast. Anschließend laufe ich auf 10 Zentimeter breitem Weg lange Zeit eine steile Hangflanke entlang. Ich bin immer noch auf einem selbst herausgesuchten alternativen Weg unterwegs, weil ich nicht wie die GTA ins Tal nach Villanova absteigen will. Entsprechend angespannt bin ich, ob der Weg bis zum Schluß durchgehend ist. An der letzten Hütte war er als "Balkonweg" ausgeschildert. Viel sehe ich nicht vom Abgrund, denn die meiste Zeit laufe ich durch Nebel, der mich schon seit dem Morgen begleitet.


Conca del Prà
Rifugio Jervis
Alles ging gut, ich bin nirgends abgerutscht. Zum Rifugio Jervis steige ich in ein weites Tal ab, wo gleich zwei Hütten nebeneinanderstehen. Es herrschte reger Betrieb. Ich setze mich ans Refuge und als die Bedienung an meinen Tisch kommt, fühle ich mich genötigt was Kleines zu essen und frage nach einer kleinen Vorspeise. Der Kellner bestätigt mir, daß er das verstanden hat. Allein es herrscht professionelles Unverständnis, klein kennen die hier nicht. Man serviert mir eine Riesenportion Polenta mit fettigen Würstchen. Solange das Fett reichte, habe ich von dem Berg Polenta oben etwas abgetragen und die Würstchen gegessen. Trockene Polenta bekomme ich nicht herunter. Schade um die Verschwendung.
Dazu genehmige ich mir ganz gegen meine Gewohnheit, niemals während des Tages Alkohol zu trinken, für 5 Euro einen Aperol Spritz.
Nach der Rast gehe ich die andere Talseite mit angenehmer Steigung eine alte Militärstraße hoch. Obwohl das nach einem Spaziergang aussah, war ich einigermaßen erschöpft, als ich oben ankam. Kurz vor dem Paß gibt es einen botanischen Garten. Ich setze den Rucksack ab und gehe auf das Gelände, aber der Nebel ist schon wieder so dicht, daß ich nicht viel zu sehen bekomme. Ich mache kehrt und gehe weiter zum Colle Barant.


Direkt am Paß ist ein altes Militärgebäude zu einem Rifugio umgebaut worden. Im Wanderführer steht, daß es wegen Wasserproblemen geschlossen wäre, aber die sind gelöst und das Rifugio ist wieder offen. Ich beschließe, hier zu übernachten. Außer mir und dem Hüttenwirt ist niemand hier. Ich bekomme einen Schlafsaal für mich alleine und suche mir dort ein oberes Bett aus, von dem aus ich den Sonnenaufgang sehen könnte. Auf warmes Abendbrot verzichte ich und gönne mir nur einen Rotwein. Den Abend verbringe ich mit Wanderführer lesen und mit dem Hüttenwirt schwatzen.


Das Wasserproblem hatte er dadurch gelöst, daß er einen Wasserspeicher und zwei solarbetriebene Pumpstationen gebaut hatte, die das Wasser von einem Bach im Tal hochfördern. Leider führte die veraltete Information in den Wanderführern dazu, daß die wenigen Wanderer, die hier vorbeikamen, sich Übernachtungen in den Refuges Jervis und Barbara Lowrie gebucht hatten. Bis das in einer neuen Auflage korrigiert ist, würde er nichts vom Kuchen abbekommen. Ich bot ihm an, den Rother-Verlag anzuschreiben, aber er meinte, das hätte eine junge Frau schon getan, die vor einer Woche hier durchgekommen war.
Rifugio Barant ↣ Lago Superiore
Am Morgen begrüßt mich die Sonne mit einem wunderbaren Aufgang. Ich gehe vor das Haus, um ein paar Fotos zu schießen. Die Täler sind noch mit Nebel gefüllt und die Luft ist atemberaubend klar und kalt. Schon bevor die Sonne über den Horizont stieg, kamen einige Wolkenzipfel aus dem Nebel heraus.


Zum Frühstück gab es einen großen Pot Kaffee, drei Scheiben Brot, Butter und Marmelade, serviert auf einem Kunstwerk des Hüttenbetreibers, das vermutlich das Resultat eines einsamen Abends auf der Hütte war.


Frühstück an Kunst
Abschied vom Rifugio Barant
Zum Abschied gibt mir der Hüttenwirt noch mit auf den Weg, daß ich am Rifugio Barbara Lowrie nicht die GTA weitergehen, sondern den Paß rechts davon nehmen soll. Dieser Paß ist zwar 200 Meter höher, aber viel schöner, weil man von dort das erste Mal den Mont Viso sieht und vom Anblick fast erschlagen wird. Ich finde den Weg in OSM und beschließe, den zu nehmen.
Abwärts geht es auf der gleichen Militärstraße wie gestern. Sie ist auf dieser Seite besser in Schuß oder vielleicht auch schon solider angelegt. Es lohnt sich nicht, die Serpentinen abzukürzen, weil ich dann wieder besser auf den Weg achten müßte. So laufe ich beschwingt ins Tal. An der unteren Pumpstation der Hütten-Wasserversorgung fülle ich mir frisches Wasser ab.
Im Refuge Barbara Lowrie trinke ich noch einen Kaffee und mache mich Richtung Westen an die 1000 Meter des heutigen Anstiegs. Kurz nach dem Refuge sehe ich in der Ferne ein Paar Bartgeier kreisen. Ich weiß das, weil eine halbe Stunde vorher von einem Schild auf diese Tiere hingewiesen wurde. Für mein Weitwinkelobjektiv sind das nichts als graue Punkte.

Unterwegs mache ich einige Pausen. Ab und zu scheint die Sonne durch Wolkenlücken. Als ich den Paß erreiche, bietet sich wie vom Hüttenwirt vorhergesagt ein grandioser Ausblick auf den Monte Viso. Allerdings nur für zehn Sekunden. Danach verschwindet er im Nebel. Ich baue meine Panoramakamera auf und warte eine halbe Stunde vergeblich, daß ich ihn nochmal zu Gesicht bekomme. Dann gehe ich weiter.


Auf dem Paß stellt ein älterer Mann mit kaum noch Zähnen im Mund einen Wegweiser auf und bringt neue rot-weiße Wegmarkierungen an. Zuerst die weißen Striche und auf dem Rückweg die roten. Ich bedanke mich bei ihm für die Arbeit.



Am Pian del Re ist schlagartig viel Betrieb, weil eine Straße dort endet. Ich versuche mich vom Trubel fernzuhalten und nehme den westlichsten und höchsten Weg, mit V17 markiert, zum Lago Superiore. Der war als Bergsteigerpfad in OSM lila markiert, aber einfach zu gehen. Die "schwierigste" Stelle war die Querung eines kleinen Wasserfalls. Sie war mit zwei Seilen abgesichert, die aber eher kontraproduktiv waren, weil sich mein Rucksack darin verheddert. Ich werde nur ein klein wenig naßgespritzt.


Pian del Re
Bach-Querung
Der Lago Superiore gefällt mir sehr gut. Er ist eingezwängt zwischen dem Monte Viso Massiv und einem vom Gletscher abgeschliffenen Rücken, der viele Buchten und geschützte Senken erzeugt. Es ist wunderbar still hier. Heute Abend werden hoffentlich keine Tagestouristen mehr hier hoch kommen. Ich finde einen schönen Balkon für mein Zelt mit super Ausblick zum Monte Viso.

Mit dem Kocher anwerfen warte ich bis 19 Uhr, bis ich mir sicher bin, daß niemand mehr kommt.

Lago Superiore ↣ Valle delle Giargiatte
Ich verbringe eine wunderbar erholsame Nacht. Am Morgen ist das Zelt naß vom Tau und es scheint zwar die Sonne, aber nicht zu mir. Ich lasse mir bis um neun Uhr Zeit mit dem Abbau. Bis dahin bleibe ich allein. Erst nach dem Losgehen treffe ich auf die ersten Tagestouristen.

Der Himmel ist komplett klar und heute habe ich endlich ungehinderten Blick auf das Monte Viso Massiv. Immer den Berg vor Augen komme ich noch an einigen hübschen kleineren Seen vorbei, von denen allerdings keiner die Klasse meiner Übernachtungsstelle hat.

Ein Stück weiter ist die westliche Umrundung des Lago Chiaretto leider wegen Steinschlag gesperrt und ich gehe zur Abwechslung mal wieder auf der Originalroute der GTA. Aus dem Massiv herabfallende Steine hatte ich schon in der Nacht gehört. Es polterte ständig, hat mich aber nicht gestört, weil es auf der anderen Seite des Sees war.

Nach 400 Metern Anstieg komme ich über den Colle dei Viso. Kurz dahinter steht das Rifugio Quintino Sella, an dem ein unheimliches Gedränge herrscht. Die Preise sind doppelt so teuer wie auf normalen Hütten und trotzdem lassen sich viele Menschen in grellbunten Sportklamotten davon nicht abschrecken. Ich bin genervt von den Menschenmassen und sehe zu, daß ich weiterkomme.


Lago Grande di Viso
Rifugio Quintino Sella
Schon wenige Meter weiter am See unterhalb der Hütte ist niemand mehr. Auch heute steuere ich das offizielle Etappenende, das Rifugio Alpetto, nicht an, weil ich noch genügend Vorräte habe. An der Gabelung nach dem Lago Grande di Viso gehe ich geradeaus weiter, statt nach links abzubiegen. Über den Passo Galarino und den Passo San Chiaffredo gelange ich auf der GTA-Etappe des nächsten Tages ins Valle delle Giargiatte.


Nach einem Sattel hat man freie Sicht auf den Lago Bertin und es ergibt sich ein faszinierender Anblick. Nicht der Seen wegen, die sind hübsch, sondern weil Landschaftskünstler jeden Stein, den sie heben konnten, in die Vertikale gedreht hatten. Das sieht aus, als hätte der Boden Stacheln. Schon ganz aus der Ferne, ohne Details zu erkennen, nehme ich eine geänderte Reflektion des Sonnenlichts wahr und weiß, da ist irgendwas. Steinmännchen-Ansammlungen habe ich zwar auch schon andernorts gesehen, aber noch nie in dieser Masse. Ich finde es witzig, daß sich jemand diese Mühe gemacht hat.






In der Steinwüste war an eine Übernachtung nicht zu denken. Sobald ich in Wiesengelände komme, in der Ferne schon die ersten Bäume, wußte ich, da finde ich irgendwas. Kurz vorher gab es noch mal Wasser. Zwei große Findlinge bieten Sicht- und Windschutz und die Aussicht auf die Berge ist nach wie vor phantastisch. Das Zelt paßt gerade so zwischen die Steine. Der Boden ist eben, weich und ohne Kuhfladen. Man sieht der Gegend an, daß hier öfter mal übernachtet wird: Es gibt Lagerfeuer und Bananenschalen liegen herum.

Durch die vielen Abkürzungen habe ich gegenüber dem Wanderführer schon eine dreiviertel Etappe herausgeholt, wenn man von dem extra Tag durch die erste geteilte Etappe mal absieht.
Valle delle Giargiatte ↣ Pontechianale
Am Morgen herrscht schon früh reger Ausflugsverkehr. Mir fällt ein, daß Sonnabend ist. Viele Gruppen von Wanderern brechen vermutlich auf zur großen Runde um den Monte Viso. Mich, in meiner perfekten Ritze zwischen den zwei Steinen, entdecken sie nicht, zumindest stört mich niemand.
Ich mache Kaffee und das übliche Morgenritual. Jeder Handgriff sitzt und jeder Gegenstand hat im Zelt und im Rucksack seinen Platz. Es ist alles schon gut eingespielt.
Als heutiges Etappenziel hatte ich mir Pontechianale herausgesucht. Wenn ich schon mal an einem Campingplatz vorbeikomme, will ich den auch nutzen. Es ist also nur eine halbe Etappe zu gehen und die auch nur bergab.

In Castello erreiche ich den langgestreckten gleichnamigen Stausee. Über das Wasser bietet sich ein schöner Ausblick auf den Ort. Unterhalb der Staumauer erstreckt sich ein schmales Tal, in dem Unmengen Vögel hin und herfliegen. Auf der Straße am gegenüberliegenden Ufer herrscht reger Betrieb, Motorradketten und viele Ausflügler sind unterwegs.


Castello
Unmassen Vögel sind in der Luft
Ich komme zehn vor zwölf auf dem Campeggio Libac an. Meine Befürchtungen, daß ich angesichts des Rummels auf den Straßen nicht unterkommen würde, waren unbegründet. Der Platz ist zwar gut gefüllt mit Italienern, der Platzwart findet trotzdem noch ein Stück schattenlose Wiese für mich und ich baue schnell mein Zelt auf. Generell ist es hier so, daß Englisch nicht unbedingt verstanden wird. Es mußten erst zwei weitere Personen herangeholt werden, ehe meine einfache Anfrage nach einer Übernachtung für eine Person, eine Nacht, mit Zelt verstanden wurde.

Von Recherchen vor der Tour wußte ich, daß es im Ort einen Laden gibt, der 12:30 Uhr schließt. Ich stürze also los, um mich mit einem Bier, Chips und Lebensmitteln für morgen auszurüsten und meinen Vorrat an Blasenpflastern zu erneuern. Der Bäcker nebenan hatte sein Corona-Programm auf die Spitze getrieben: Draußen war ein Nummernspender wie beim Arbeitsamt aufgestellt und im Laden gab es zwei Buchten, wo man aus der Entfernung sagen konnte, was man wollte. Ich nehme ein sehr gut schmeckendes Walnußbrot. Bei den Törtchen kann ich mich aus der Ferne nicht entscheiden und lasse es.
In der zweiten Tageshälfte fahre ich ein Relaxprogramm: Mit einem kühlen Bier in der Hand wasche ich Wäsche, flicke zum x-ten Mal den Riß im Hemd, der immer weiter aufreißt und dusche ausgiebig. Für einen Euro gibt es eine Duschmarke für 25 Liter Wasser, was ausreicht, um auch lange nach der Reinigung noch unter warmem Wasser zu stehen.
Mittlerweile habe ich zwei große Blasen an jedem Fuß, die bepflastert werden wollen. Das ist recht ungewöhnlich, denn sonst habe ich eigentlich nie Blasen, selbst in neuen Schuhen nicht. Ich hatte vor zwei Jahren ein Paar Mammut Wanderschuhe gekauft und war damit sehr zufrieden gewesen, beeindruckt vor allem vom unglaublich geringen Gewicht. Vor dem Kauf hatte ich auch einen Kommentar von einem zufriedenen Nutzer gelesen, der meinte, daß das ein wunderbarer Schuh wäre, er hätte schon 7 Paar davon gekauft. Das kam mir damals etwas komisch vor, aber nach einem Jahr wußte ich, was er meinte. Der Schuh trägt sich gut und hält am Anfang auch Regen gut ab, ist aber nach 2 Monaten Wanderung regelrecht zerfetzt, mit großen Löchern an den Seiten. Trotzdem hatte ich mir das exakt gleiche Modell noch mal günstig im Internet besorgt. Diesmal war das Paar allerdings 350 Gramm schwerer und über den Zehen flacher geschnitten. Die geringere Höhe tat meinen Zehen nicht gut.
Morgen ist der Schlendrian wieder vorbei. Der Norweger (yr.no) sagt einigermaßen gutes Wetter an, nachdem in den Tagen davor eigentlich ein Dauerregen angekündigt war. Die Sintflut ist wieder mal ausgefallen.
Pontechianale ↣ Rifugio Melezè
Die Nacht auf dem Zeltplatz war sehr unruhig. Zum einen bimmelten Kühe die ganze Nacht, zum anderen wurde bis um zwei noch gesungen und laut herumgeschrien. Mitten in der Nacht tausche ich nochmal den aufzuladenden Akku im Waschraum und verbringe den Rest der Nacht mit Ohrstöpseln.
Früh schien die Sonne. Beim Einstieg in die GTA lief ein Mann mit rotem Rucksack 30 Meter vor mir. Natürlich war er schneller als ich und so treffe ich ihn erst auf dem Kamm wieder. Der Anstieg zum Colletto Battagliola war sehr steil und ich war 600 Höhenmeter ohne Pause gegangen, mußte oben also erst mal verschnaufen. Mein Vorsteiger heißt Jörg und kommt aus Bremen. Wir überholen uns noch einige Male gegenseitig und kommen jeweils kurz ins Gespräch.
Beim Abstieg auf der zur anderen Seite sanfter abfallenden Militärstraße bin ich im Vorteil. Der Randstreifen ist mit einer ausgetrockneten Reifenspur bedeckt, die sich mit dem Fuß um 2-3 Zentimeter plastisch eindrücken läßt. Ich kann mit gestrecktem Bein laufen und bekomme ein irres Tempo, mit dem ich jeden auf der Strecke überhole.


Kurz vor Celle kommt ein Regenschauer herunter, den ich unter dem Dach einer Quelle am Weg aussitze. Ich durchstreife kurz die engen Gassen von Celle und schaue mir die Sonnenuhr an. Entlang des Hanges geht der Wanderweg weiter Richtung Westen. An einer weiteren Quelle fülle ich mir halb fünf die Wasserflaschen, um ab jetzt überall übernachten zu können.


Kirche in Celle
Quelle am Weg
Eigentlich wollte ich heute so weit wie möglich gehen. Jörg hatte mich darauf gebracht, daß man am Rifugio Melezè auch Zelte aufschlagen kann. Neben dem Gebäude liegt eine schöne Wiese, etwas entfernt von der Straße. Als ich dort ankam, herrschte reger Verkehr, allerdings alles Tagesausflügler und zehn ältere Herren, die Boccia spielten, die italienische Variante des Boule. Jörg, der Italienisch kann, fragt für mich beim Wirt wegen Übernachtung und Abendessen, danach baue ich mein Zelt auf.


Kurz danach kam noch ein weiteres deutsches Pärchen, Anne und Falk. Sie hatten sich eigentlich vorgenommen, während eines Sabbaticals für ein halbes Jahr durch Rußland zu reisen. Als sie dort wegen Corona nicht eingelassen wurden, haben sie auf Balkan umgeplant. Dort waren sie schon oft und kannten sich gut aus. Als dann auch Bosnien Herzegowina für sie gesperrt war, waren sie ein weiteres Mal umgeschwenkt auf Italien. Ich kann ihren Frust über Corona nachvollziehen, aber manchmal wurde mir das Geschimpfe über Coronamaßnahmen zu viel. Sie haben auf Ihrer Webseite wandern-flanieren.de sehr ausführlich über ihren Urlaub berichtet. Italien hatte ihnen anscheinend nicht besonders gefallen, denn über den letzten Monat schreiben sie nur zwei Sätze: "Zu Italien gibt es nicht viel zu sagen. Wir besuchten Rom, wanderten durch die Abruzzen, schauten uns Venedig an und liefen ein Stück auf dem GTA im Piemont." Ihnen scheinen die Länder des ehemaligen Ostblocks mehr zu liegen, wo man als Westdeutscher noch bemerkt und umsorgt wird. Was die Einheimischen sicher mit ihren eigenen Hoffnungen verbinden.
Jörg und ich essen im Rifugio sehr lecker zu Abend. Anne und Falk kommen später auf ein Bier dazu und wir schnaken noch eine ganze Weile. Die vorige Nacht hatten wir alle vier auf dem Zeltplatz Pontechianale verbracht, uns dort aber nicht gesehen.
Rifugio Melezè ↣ Campo Base
In der Nacht regnet es. Ich nutze eine Regenpause am Morgen, um schnell das Zelt abzubauen und loszugehen. Die anderen warten noch ab. Für heute war unser aller Ziel die Campo Base.

Während des Aufstiegs zum Colle di Bellino hängen die Wolken tief, aber wenigstens hat der Regen aufgehört. Anfangs laufe ich noch in voller Regenmontur. Gerade als ich endlich die Regenhose ausgezogen hatte, erwischt mich noch eine Husche. Für den Rest des Tages lasse ich die Hose an, auch wenn sie mich bei langen Schritten etwas behindert. Wenigstens kann ich mich damit ins nasse Gras setzen. Auf dem Paß umfängt mich Nebel. Nur kurz reißt der mal auf, aber vom tollen Blick auf den Monviso ist nichts zu sehen.

Nach dem Paß überholt mich Jörg. Hier ist Murmeltiergelände. Die Tiere sind hier allerdings sehr scheu und gehen schon in weiter Entfernung in Deckung. Nichts für mein Weitwinkelobjektiv.
Die GTA verläuft über einen hübsch geschwungenen Grashang abwärts. Bald gluckert ein idyllischer Bach neben dem Weg und ab und zu sehe ich tolle Felsformationen.






Im Talgrund mache ich Rast auf einer Bank an einer verlassenen Hütte und beobachte viele Murmeltiere. Gerade als ich wieder losgehe, haben mich die anderen beiden eingeholt. Wir gehen gemeinsam bis zum Zeltplatz. Dort gibt es warmes Wasser, Strom und WLAN.
Der Akku von Jörgs Smartphone war fast leer und das Gerät ließ sich nicht mehr laden. Nach einigem herumprobieren komme ich auf die Idee, es ausgeschaltet an Strom zu hängen, weil die Laderegelung in ausgeschaltetem Zustand von anderer Software erledigt wird. Das funktioniert und der Abend ist gerettet.
Nach dem Essen sitzen wir noch eine Weile am Tisch. Ich bin ziemlich müde und unternehme heute nichts weiter, sondern ziehe mich bald in mein Zelt zurück.

Campo Base ↣ Gias dell'Oserot
Als ich den Campingplatz verlasse, liegt das Wahrzeichen von Chiappera, die weiße Felszacke, in schönstem Sonnenschein.

Heute trennen sich unsere Wege. Anne und Falk wollen die alpine Variante über den Colle d'Enchiausa gehen, daß bedeutet 500 extra Höhenmeter hoch und runter. Mir reicht schon die normale Variante mit 800 Metern Anstieg.
An der Sorgenti del Maira stehen einige Campmobile auf der Wiese. Vermutlich hätte mein Zelt hier auch noch Platz gefunden, wenn ich gestern weiter gegangen wäre.

Zum Colle Ciarbonet geht ein schöner Weg durch Wald den Berg hoch. Eine Herde schwarzer Pferde grast im Wald. Oben angekommen, bietet sich mir ein weiter Blick ins Land. Den Aufstieg zum Monte Estelletta schenke ich mir, weil es schon wieder recht spät geworden war.
Mit Jörg hatte ich überlegt, am Schluß nicht die 300 Meter nach Chialvetta abzusteigen, die wir am nächsten Tag wieder aufsteigen müßten, sondern weiterzugehen. Er hatte im Internet herausgefunden, daß es östlich des Passo della Gardetta ein Refuge gibt, an dem man sein Zelt aufschlagen kann. Dorthin muß man nur 100 Meter vom Kamm absteigen.

Abwärts führt wieder eine alte Militärstraße, diesmal ohne tollen Randstreifen und mehr über die Knie gehend. Am Abzweig zum eigentlichen Etappenziel Chialvetta gehe ich geradeaus vorbei. Es steht noch ein weiterer Aufstieg von 500 Metern an.
Auf halbem Wege setze ich mich ins Gras und schaue einem verzweifelten Hirten zu, der seine Herde anbrüllt, um sie einen schmalen Pfad entlangzutreiben. Die Kühe muhen nur laut zurück und bewegen sich unwillig ziellos umher. Die enge Stelle bleibt verstopft. Ich bin froh, daß ich da nicht lang muß.
Am Passo della Gardetta sind schon von weitem die Bunker zu sehen, die den Paß beherrschen. Ich setze den Rucksack ab und werfe einen Blick hinein. Die Erkundung mit Taschenlampe erspare ich mir.


Vom Paß aus kann ich das Rifugio Gardetta sehen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich das Zelt von Jörg neben dem Gebäude stehen sehe. Auf jeden Fall bemerke ich die vielen Kühe im Tal. Irgendwie habe ich keine Lust auf eine Nacht mit Kuhgebimmel. Ich beschließe, auf dem Kamm weiterzugehen, und fasse als nächstes Ziel den Lago Oserot ins Auge. Mittlerweile war mir aufgegangen, daß ich nicht genug Wasser hatte und die Gesteinsart zu Kalk gewechselt war, wo ich schwer welches finden konnte. Ich hoffte, am See Wasser zu bekommen.

Durch den folgenden Talkessel zieht sich schnurgerade eine Piste durch die Bergflanke. Zelten ist hier unmöglich. Wenigstens sind es nur noch 200 Höhenmeter aufzusteigen zum Passo di Rocca Brancia. Ab da geht es nur noch abwärts.

Auch auf der anderen Seite des Passes stehen Bunker. Schlimmer ist allerdings, daß das Weideland ist. Die Kühe stehen sehr weit verstreut. Eigentlich bietet die Moränenlandschaft viele waagerechte Zeltstellplätze und auch einige Tümpel. Die ersten beiden Seen vor dem Lago Oserot waren allerdings nur Regenwasserbecken mit von Kühen zertrampelten Ufern. Solches Wasser wollte ich nicht trinken.

Auch um das wenige Wasser im Lago Oserot sehe ich schon von weitem Kühe stehen. Das heißt, daß es heute mit Kochen nichts mehr wird. Eigentlich hatte ich Kartoffelmus geplant, um meine Reserven abzubauen.


Ich passiere den letzten See und habe keine Hoffnung mehr, das Kuhgelände heute noch verlassen zu können. Bevor das Tal enger wird und ich dann auch keine ebenen Stellen mehr finde, suche ich mir einen Boden-Trichter für mein Zelt aus. Die Senke schirmt das Geläut der Kühe rundum sehr gut ab. Nur wenn eine Kuh auf dem Trichterrand steht, höre ich sie.


Es waren Wolken aufgezogen und ich hatte etwas Sorge wegen meiner Lage im Trichter. Ich war nicht sicher, ob bei starkem Regen alles Wasser sofort im Kalk versickert, oder eine Pfütze bilden würde. Andererseits waren die Trichterwände recht steil. Dort das Zelt hinzustellen, würde eine unruhige Nacht bedeuten und oben auf dem Rand wäre mir zu blitzgefährdet.
Wenn ich auch nur wenig Wasser habe, gibt es immer noch einen Viertelliter Rotwein, den ich gestern nicht verbraucht hatte. Dazu Schokolade, denn mir war auch Wurst und Käse ausgegangen. Morgen werde ich wieder Gelegenheit haben, einzukaufen.
Gias dell'Oserot ↣ Pietraporzio
Die Kühe verhielten sich in der Nacht ruhig. Es war nichts weiter los in meinem Krater, geregnet hatte es auch nicht.
Früh ziehe ich ohne Kaffee los. Nur etwa 100 Meter unterhalb meines Schlafplatzes war eine Tränke, die mit einem fetten Wasserstrahl aus einem Schlauch gespeist wurde. Wo auch immer das Wasser herkam, von den Seen oberhalb sicher nicht, dazu war es zu viel. Wäre ich gestern nur etwas aufmerksamer gewesen, hätte ich schön kochen können.
Weil ich gestern noch so weit gegangen war, hatte ich heute nur noch wenig Weg bis zum nächsten Zeltplatz in Pietraporzio. Ich stelle meinen Rucksack auf der kleinen Wiese hinter der Pizzeria-Ostello-Camping Cento Sentieri ab und bin schon 12 Uhr an der Panetteria an der Kirche, die wesentlich mehr hat, als nur Brot. Ich kaufe Vorräte für die nächsten Tage und ein Bier für den Zeltaufbau.
Zurück an der Osteria frage ich, ob ich das Zelt aufbauen darf. Ich platze gerade in den Mittagstrubel und der Chef gibt mir nur kurz zu verstehen, daß ich mir selber einen Platz suchen soll. Auf der kleinen Wiese ist noch alles frei. Ich stelle das Zelt im Schatten von Bäumen auf, trinke das Bier und harre der Dinge, die da kommen.


Im Sanitätstrakt gibt es eine warme Dusche. Ich kaufe mir eine Duschmarke, die ich am Schluß gar nicht brauche, weil ich mit dem restlichen Wasser vom Vorgänger auskomme. Ich unternehme noch eine kleine Ortsbesichtigung auf der Suche nach einem in Google eingetragenen Tabakladen, den es nicht mehr gab. Danach ist Faulenzen angesagt.

Nach einer Weile kam der Jörg, später dann auch Anne und Falk und wir waren wieder vereint. Durch Zufall hatten mich Anne und Falk gestern am Paß stehen sehen, als ich kurz über den Abstieg zum Rifugio Gardetta nachgedacht hatte. Sie hatten mit Jörg am Rifugio Gardetta gezeltet und waren durch die Kühe nicht gestört worden.
Wir bezahlen 8 € für den Zeltplatz und essen später noch eine Pizza. Meine ist ein Riesen-Teil mit Kapern. Lecker, aber eigentlich zu viel. Ich habe lange zu kämpfen.
Pietraporzio ↣ Rifugio Guglielmo Migliorero
Die Nacht war ruhig. Für den heutigen Tag ist Regen angesagt, aber noch ist eitel Sonnenschein. Am Morgen treffen wir uns beim Frühstück. Anne hadert mit den steilen Auf- und Abstiegen und überlegt, ob sie den Regentag nutzen soll, auf den Ligurischen Höhenweg zu wechseln. Sie will den Bus nach Cuneo nehmen. Jörg will einen Schontag einlegen und heute nur bis in den nächsten Ort Sambuco gehen, dem Ende der Mini-Etappe des Rother-Wanderführers.


Ich habe den Plan, die dem Zeltplatz gegenüberliegende Talseite hochzugehen, um im Vallone del Piz einfach Höhe zu gewinnen. Dabei kann ich die GTA-Route etwas begradigen, die sich hier in eine West- und Ostkurve aufteilt. Erst auf Asphaltstraße, dann auf einem Schotterweg geht es gleichmäßig ansteigend hoch, vorbei an den Resten einer früheren Bewirtschaftung: Gewölben und Terrassen. Am Beginn der Straße stand eine Tafel mit längerem Text in Rot, daß sich ab heutigem Datum irgendwas ändern würde, und eine LED-Anzeige blinkte vor sich hin. Ich vermutete, daß das nur für Autos galt. Jedenfalls fuhren noch Autos in das Tal und einige Leute starteten weiter oben ihre Wanderung.


Für das Rifugio Erfedo Zanotti bin ich zu früh, es ist erst Mittag, als ich da erscheine. Von außen gefällt es mir sehr gut. Es ist aber ohnehin wegen Covid 19 geschlossen.


Terrassen
Rifugio Zanotti
Über den schmalen Passo Rostagno geht es in einer engen, steilen Rinne aufwärts und auf der anderen Seite genauso wieder abwärts. Hier setzte ein leichter Nieselregen ein und ich habe zugesehen, daß ich weiterkam.


Ab dem Paß sieht man das malerisch auf einem Felssporn im See gelegene Rifugio Migliorero. Je näher ich kam, umso phantastischer wurde die Aussicht darauf. Als ich ankam, fuhr gerade das letzte dort parkende Auto weg. Einen Moment lang war ich unschlüssig, ob noch geöffnet ist, bis ich ein offenes Fenster sah. Dann muß noch jemand zu Hause sein.


Die Betreiberin kam mir vorwurfsvoll entgegen, wie ich denn ohne Voranmeldung vorbeikommen kann. Sie hat wegen Corona ihre Übernachtungsplätze von 100 auf 20 reduzieren müssen. Ich verstand, daß voll wäre, und frage nach einer Zeltmöglichkeit auf der Wiese. Nein, so war das nun auch nicht gemeint, ich bekomme für 50 € ein Bett in einem Vierer-Zimmer, in dem ich der einzige Gast bin. Dazu Frühstück und Abendbrot.

Das Zimmer ist so winzig, daß ich nicht mit aufgesetztem Rucksack drin wenden kann. Duschen gab es keine, aber eine Toilette zum Sitzen. Die Zeit bis zum Abendbrot nutze ich für eine Umrundung der Seen und sehe mir auch schon den morgigen Weg an.

Zurück in der Gaststube treffe ich zwei Münchener, die auch den GTA gehen, allerdings schneller als ich. Sie haben nur leichtes Gepäck, sind also auf Unterkünfte angewiesen. Morgen wollen sie zwei Etappen des Rother zusammenlegen, um sich den Abstecher nach Strepeis zu sparen und direkt bis Sant' Anna di Vinadio zu kommen. Dasselbe habe ich auch vor, nur möchte ich gerne mal wieder im Zelt übernachten. Ich werde mir also vor dem Ort was suchen.

Rifugio Guglielmo Migliorero ↣ Passo Tesina
Um sieben Uhr gibt es Frühstück und halb neun gehe ich los. Die beiden Deutschen kommen vor mir los und ich hole sie nicht wieder ein.

Die Hütte verschwindet langsam im Nebel. Der Weg führt über den Paß und danach sehr lange abwärts. Schade um die vielen Höhenmeter, die ich am Nachmittag alle wieder hoch muß! Die Posto Tappa in San Bernolfo war mit allerlei asiatischen Laternen hübsch geschmückt, aber es war noch vor Mittag, als ich dort vorbeikomme.

Ab Grange Marina steige ich Vallone Tesina bergauf. Es nieselt leicht und ich mache im Schutz von Bäumen einige Male kurz Rast.


Clematis
Bergzacke im Nebel
Es gibt mehrere Terrassen in diesem Tal, so daß der Anstieg recht abwechslungsreich ist. Zuerst vermutete ich, daß es keine Weidewirtschaft in diesem Tal gibt, weil kein Fahrweg zu erkennen war. Weiter oben erwarten mich aber doch Kühe.

Die Capanna di Tesina ist durch einen riesigen Felsblock geschützt. Nach dem nächsten steileren Stück erreiche ich ein weitläufiges Hochtal mit kleinen Mooren und einem zauberhaften See. Es liegen zwar Kuhfladen rum, aber aktuell lassen sich keine Kühe blicken. Es ist wunderbar einsam hier. Ich folge einem ausgetrockneten Bach, bis ich frisches Wasser finde.




Nachdem meine beiden Trinkflaschen gefüllt sind, suche ich mir einen Übernachtungsplatz auf einem Band über dem Weg mit traumhafter Aussicht. Hoffen wir, daß es kein Gewitter gibt. Zum Abendbrot gibt es Chinasüppchen.

Die Wolkendecke lockert sich auf, es gibt dunkle Flecken am Himmel und Stellen mit Wolkenlöchern. Vielleicht habe ich ja Glück, daß morgen früh wieder die Sonne scheint. Mein Zelt könnte dann sofort trocknen.
Morgen werde ich Sant' Anna di Vinadio links liegenlassen. Der erste Teil der Etappe ist ein schöner Höhenweg entlang einiger Seen und erst danach gehts wieder runter.
Passo Tesina ↣ Laghi della Valletta
Tatsächlich erwartet mich am Morgen ein strahlend blauer Himmel. Ich komme trotzdem erst halb zehn los.

Auf der anderen Seite des Passo Tesina herrschte ein riesiger Trubel. Es war Wochenende und der große Klosterkomplex wurde von vielen Menschen besucht. Ich war froh, daß ich gestern auf meiner einsamen Seite geblieben war. Auf der anderen Seite hätte ich zwar auch was Flaches gefunden, wäre aber bestimmt schon früh von Touristen aufgeschreckt worden.


Lago di Sant' Anna (rechts)
Kloster Sant' Anna
Das Kloster und den großen Parkplatz sehe ich nur aus der Ferne. Mein Weg ging den Höhenzug entlang, zuerst einen steilen Aufstieg über ein Seitental. Oben geht der Weg noch ein paarmal hoch und runter auf alten Militärpisten, die nicht so spannend zu laufen waren. An einigen Punkten kann man nach Frankreich hineinsehen, von den Skipisten oder von Isola 2000 bekomme ich noch nichts mit.



Am Col de la Lombarde, über den eine Straße führt, lege ich mich an einem kleinen Teich ins Gras und döse ein wenig in der Sonne. Auch die Füße hänge ich mal ins Wasser.

Nach einem kleinen Stück Straße Richtung Norden zweigt ein Weg zum Passo d'Orgials ab. Vom Paß aus sehe ich die sehr hübschen Laghi d'Orgials, der Größere nierenförmig und im Rother Lagho della Valletta genannt. Ich beschließe, hier zu zelten und nicht bis zum offiziellen Etappenende Rifugio Malinvern zu gehen. So kann ich den bisherigen Versatz meiner und der offiziellen Etappen beibehalten, damit ich am übernächsten Tag vormittags in der Therme di Valdieri ankomme und dort noch was vom Tag habe.


Dreihundert Meter nach dem Paß sehe ich noch jemanden über den Paß kommen. Mir schwant schon, daß das Konkurrenten sind, und ich gehe so schnell ich kann. Hilft nichts, die beiden springen leichtfüßig an mir vorbei und schnappen sich tatsächlich den schönsten Zeltplatz auf der Halbinsel des Nierensees. Mir bleibt nur der zweitbeste Platz in den Terrassen am östlichen Ufer. Für einen Moment bin ich wirklich sauer.

Ich erkunde noch ein wenig die Umgebung und finde ganz in der Nähe eine Quelle, die nur vier Meter über dem See liegt. Zuerst entdecke ich nur ein paar feuchte Flecken, schaffe es dann aber eine Stelle so freizulegen, daß ich mit meiner Schöpftüte an das Wasser komme. So habe ich klares kaltes Wasser und muß nicht mit Seewasser kochen.


Laghi della Valletta ↣ Pian del Valasco
Am Morgen habe ich eine Stunde früher Sonne als die beiden auf der Halbinsel. Das versöhnt mich vollends mit meinem Zeltplatz. Wir kommen zur selben Zeit los, aber ich verliere sie schnell aus den Augen, weil sie viel schneller als ich sind. Der Weg führt weiter bergab ins Vallone di Rio Freddo. Unterwegs gibt es noch kleinere Seen, wo sicher auch eine Übernachtung möglich gewesen wäre.

Am futuristischen Rifugio Malinvern sind viele Menschen unterwegs. Ich werfe einen kurzen Blick in das Gebäude und gehe gleich weiter über den Bach und auf der anderen Talseite wieder hoch. Meine Rast mache ich eine Stunde später am Lago Malinvern, wo ich auch mal die Füße ins Wasser hängen kann.


Eine Stunde später reiße ich mich vom See los und beginne den Aufstieg zum Colletto di Valscura, dem höchsten Punkt der heutigen Etappe. 16 Uhr bin ich dort und ab jetzt geht es nur noch abwärts. Auf der anderen Seite des Passes erwartet mich der ebenfalls sehr schöne Lago di Valscura. Der Weg führt direkt daran vorbei. Auf dem gegenüberliegenden Ufer grasen Gämsen. In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit spare ich mir eine weitere Rast. Durch die immer gleichbleibende Steigung auf den endlosen Serpentinen der Militärstraße komme ich schnell voran.


Unten im Tal sehe ich schon von Weitem das Rifugio Valasco, ein ehemals königliches Jagdhaus, das recht lieblos restauriert wurde. Wie in einem Kloster sind um einen quadratischen Innenhof die Zimmer angeordnet. Die Hütte ist gut besucht. Ich frage, ob ich zelten darf, und man zeigt mir einen hübschen eingezäunten Fleck neben einem Felsblock, wo ich das Zelt aufschlage. Zelten kostet nichts, dafür esse ich im Refuge Abendbrot und Frühstück.


Das Rifugio Valasco am nächsten Morgen
Mein Zeltplatz
Das Essen ist lecker und der halbe Liter Rotwein beschert mir einen tiefen Schlaf.


Pian del Valasco ↣ Lago Brocan
Als ich am Morgen vom Frühstück zurückkomme, steht auf meiner Zelteinfriedung eine Kuh. Sie hatte sich durch den schmalen Spalt zwischen den Holzgeländern hindurchgequetscht. Klar, wo mein Zelt steht, ist das Gras am saftigsten. ;-)
Ich war in Sorge, daß sie hinten was verlieren könnte oder in Panik gerät und über die Zeltstrippen stolpert. Das war letztlich unbegründet, sie hat den Ausgang selber gefunden.

Durch das Frühstück im Refuge komme ich schon 8:30 Uhr los. Ich will heute nur das kleine Stück bis zum Hotel Royal Terme Reali di Valdieri kommen und dort im Wasser einen halben Ruhetag einlegen.

Auf der Webseite des Hotels sehe ich, daß das Zimmer 90 € kostet, die ich gerne bereit bin zu bezahlen. Es sind genügend Zimmer frei, also muß ich nicht online buchen, sondern kann einfach dort vorbeigehen. Tatsächlich nehme ich den kleinen Fußgängereingang erst nicht für voll und gehe daran vorbei. Ich laufe auf der Straße am Hotel vorbei und ein besserer Eingang kommt nicht, also gehe ich wieder 400 Meter zurück und nehme doch diesen. Vor dem Hotel stehen einige PKW, im Bad gegenüber ist niemand.
Erst als ich die Stufen zum Eingang hochgehe, sehe ich das "Chiuso"-Schild. Die Tür ist zu. Im Inneren der gigantischen Eingangshalle schieben Angestellte Palmen umher, aber ich komme da nicht rein. Sind die wirklich zu blöde, einen kleinen Hinweis, daß sie geschlossen haben, auf ihre Webseite zu stellen? Ich bin fassungslos.




Nachdem ich jetzt schon einmal sinnlos hin und her gelaufen bin, habe ich keine Lust mehr, ein weiteres mal bis zum Albergo Turismo zurückzugehen, dem zweiten Hotel am Platze. Die Chancen, daß die geöffnet haben, stehen vermutlich ähnlich schlecht und was ich wollte, war die Therme. Also wird das heute ein ganz normaler Wandertag.
An der Brücke über den Bach stoße ich auf zwei Wanderer, die mit Eseln unterwegs sind. Sie sind schneller als ich und ich treffe sie erst am Rifugio Morelli-Buzzi wieder, zu dem sie Material transportiert hatten.

An einigen Stellen sind im Wald Kunstwerke entstanden. Talstufe um Talstufe steige ich nach oben. In der Ferne sehe ich einige Gämsen. Zu weit entfernt für mein Weitwinkelobjektiv.




Ich verschnaufe kurz am Rifugio Morelli-Buzzi, aber für eine Übernachtung ist es mir zu früh. Auch hier steht wieder ein Kunstwerk: Ein Windrad aus abgegebenen Löffeln.


Rifugio_Morelli-Buzzi
Windrad
Weiter gehts zum Colle del Chiapous. Kurz vor dem Paß fallen mir viele hübsch marmorierte und kunstvoll gefaltete Steine im Blockfeld auf.


Am Paß warten schon Gämsen auf mich. Diese hier sind zutraulicher und kommen bis auf 10 Meter heran.

Vom Paß aus fällt sofort das große Speicherbecken des Lago del Chiotas ins Auge. Viel Wasser scheint nicht mehr drin zu sein. Endlose Serpentinen führen da hinunter.


Die hat sich wohl schon mal fangen lassen. Vorbei war's mit der Anonymität.
Lago del Chiotas
Für mein Etappenziel, das Rifugio Genova-Figari, muß ich am linken Ufer um den See herumgehen. Leider kann man nach der Staumauer nicht einfach geradeaus weitergehen, sondern muß ein Stück im Zickzack ab- und dann wieder aufsteigen. Das ist zwar nicht viel Höhe, aber trotzdem demotivierend.
Das Refuge hat geschlossen. Davor sitzen vier Holländer, die im Winterraum übernachten wollen. Ich suche mir ein Stück weiter am Ufer eines kleineren Sees einen Zeltplatz. Etwas Sorge hatte ich, weil der Lago Brocan etwa einen Meter niedrigeren Wasserstand als normal hatte und meine Zeltstelle im Überschwemmungsgebiet lag. Würde es in der Nacht stark regnen, könnte ich mit meinem Zelt Teil des Sees werden.

Lago Brocan ↣ Campeggio Sotto il Faggio
Ich habe eine gute Nacht gehabt. Trotz klarem Himmel komme ich am Morgen nicht in den Genuß von Sonne, denn da steht ein Berg davor. Das Zelt war naß und ich kann zwar den Tau abwischen, bis zum Losgehen um halb zehn bekomme ich es aber nicht vollkommen trocken.
Vom See aus geht es hoch zum Colle di Fenestrelle. Das muß wohl ein anderes Fenestrelle sein, als das, von dem ich losgelaufen bin? Oder bin ich im Kreis gegangen? :-)
Den Paß hatte ich schon gestern vom Colle des Chiapous aus gesehen und der sieht eigentlich unbezwingbar aus (auf dem Bild leicht links über dem Staudamm). Steile Rutschungen und eine schmale Rinne, wo soll da ein Weg sein? Letztlich haben die Bezwinger eine trickreiche Lösung gefunden. Der Weg führt erst ein ganzes Stück vom Paß entfernt über Wiesenhänge und quert erst kurz vor dem Paß in die Scharte. Dort geht es dann über einige Vor-Pässe zum richtigen Paß. Zwei Stunden nach meinem Start komme ich dort an.


Oben erwarten mich wieder einige Gämsen, die diesmal sehr zutraulich sind. Die Geiß kommt bis auf einen Meter heran, das Kitz bis auf 3 Meter. Ein Tier ist mit einem grünen und einem roten Chip in den Ohren markiert.


Was im Führer aussieht, wie eine mit zittriger Hand gezeichnete Linie, sind in Wirklichkeit endlose Serpentinen, die es vom Paß herunter geht. Aber an endlose Serpentinen hatte ich mich mittlerweile gewöhnt. Kurz vor dem Rifugio Soria-Ellena gelangt man auf eine Schotterpiste. Das Rifugio hat mich nicht interessiert, denn da lief die ganze Zeit ein Dieselgenerator. Der Schotterweg zieht sich bis Posto tappa di San Giacomo. Von meiner Google Recherche zu Hause wußte ich, daß gleich gegenüber der Campeggio "Sotto il Faggio" liegt. Das ist ein witziger naturbelassener Campingplatz, teils im Wald, teils auf Wiesen. Man kann sich hinstellen, wo man will, und ich suche mir eine dunkle Wald-Ecke aus, damit mein Zelt über Nacht ordentlich trocknet.


Die Betreiberin ist sehr nett. Ich konnte mir abends einige Trauben wegnehmen und bekomme morgens ein Frühstück. Auf diesem Zeltplatz hat es mir sehr gut gefallen.
Campeggio Sotto il Faggio ↣ Campeggio Il Bosco
Der Weiterweg startet direkt auf dem Zeltplatz durch Wald den Bach entlang. Es ist ein hübscher Waldweg, wie ich ihn auch zu Hause finden könnte. Zuerst war es dunkel im Wald, aber später, auf dem Abzweig nach Entraque hatten die Bäume teilweise schon ihr Laub abgeworfen und der Wald wurde lichtdurchflutet, was eine schöne Herbststimmung erzeugte.

Außerhalb des Waldes ist es brütend heiß. Ich nehme, wie der Rother-Führer auch, nicht die direkte GTA-Variante, sondern den Umweg über Entraque. Dort erhoffe ich mir ein Hotel zu finden, in dem ich mal Wäsche waschen und mich einen halben Tag erholen kann.


In Entraque kaufe ich kurz ein und beginne dann mit der Hotelsuche. Die Touristeninfo hat zu. Es gibt 3 Hotels im Ort. In Open Street Map hat sich keines eingetragen. Weil keinen UTMS- oder LTE-Empfang gibt, zeigt Google Maps keine Karte an, sondern nur ein weißes Blatt. Eine Suche nach "Hotels in der Nähe" verrät mir, daß das erste Hotel 350 Meter von meinem Standort entfernt ist, nur nicht in welcher Richtung. Ich spiele Blinde Kuh mit Google, indem ich ein Stück in eine Richtung laufe und dann nachsehe, wie weit das Hotel jetzt entfernt ist. Sehr nervig! Der Akku wird trotzdem, wie von Google Maps gewohnt, schnell leergesaugt. 50% des Akkus gehen bei dieser Aktion drauf.

Ich finde letztlich alle drei Hotels. Sie liegen alle nahe beieinander auf der Ausfallstraße nach Südosten. Das Hotel Trois Etoiles und das Alpi Marittime haben geschlossen, das Letztere hat es nicht nötig, darauf auf der Webseite hinzuweisen. Am Hotel Miramonti hängt ein Zettel, daß geöffnet wäre. Es ist aber niemand vor Ort. Ich rufe die Telefonnummer an und frage, ob ich übernachten kann. Wie ich die Frage auch stelle, es kommt immer die gleiche Antwort, die ich nicht verstehe. Nach einer Weile gebe ich auf. Ich sitze noch eine Weile im Schatten und gehe dann weiter. Aus einer Hotelübernachtung wird heute nichts. Genervt von dieser geballten Unprofessionalität in Entraque ziehe ich weiter.


Neues Ziel ist der Zeltplatz Campeggio Il Bosco, der Camping im Wald, der mir schon bei der Vorbereitung als netter Zeltplatz aufgefallen war. Hier ist man noch nicht komplett auf Camper ausgerichtet, sondern hat auch noch ein Herz für Wanderer. 13 Uhr treffe ich dort ein. Der Platz ist sehr anders als mein letzter Zeltplatz, der ja auch im Wald lag, viel geordneter und parzelliert. Die Waschmaschine durfte ich nicht nutzen wegen Covid, warum auch immer. Ich wasche also per Hand, hole mir ein Bier (was anderes gab's nicht) und warte auf das Trocknen der Wäsche. Ich löse noch ein Kreuzworträtsel und ein Sudoku aus der Zeitung vom Abflugtag, telefoniere nach Hause, stöbere im Internet und genieße den entspannten Nachmittag.


Campeggio Il Bosco ↣ Palanfrè
Am Morgen bekomme ich zwei Croissants und einen Cappuccino und bin um neun schon wieder auf dem Weg. Der Kamera-Akku ist wieder voll, das Handy bei 90 % und der Reserve-Akku wenigstens halbvoll. Seltsamerweise lädt das Handy direkt am Ladegerät nur unerträglich langsam mit etwa 5-10 % pro Stunde. Ich muß also immer über die Powerbank gehen, von der es normal lädt.
Ich will nicht nochmal nach Entraque zurückgehen, um die Route des Wanderführers am Bach entlang zu nehmen. Stattdessen laufe ich vier Kilometer auf der Landstraße und gelange ebenfalls wieder auf die GTA. Der Weg geht bald steil und rutschig, aber mit einigen Krampen und Seilen gesichert bergauf. Bei Regen ist das bestimmt kein Spaß.

Oben am Colle della Garbella angekommen, gehe ich noch ein Stück den Kamm entlang bis zum nächsten Gipfel und lege mich dort in die Sonne. Viele Ameisen mit Flügeln belagern mich, tun mir aber nichts.

Beim Abstieg beobachte ich, wie sich ein kleiner Bautrupp mit einem Mini-Bagger den Wanderweg herunterquält. Ich will sie nicht hetzen und bewundere erst mal die frisch gebaute Quellen-Einfassung.


Bautrupp
Quelleneinfassung
Als ich an dem Punkt bin, an dem ich entscheiden muß, ob ich zum Rifugio l'Arbergh absteige oder schon ein Stück die nächste Etappe gehe, sehe ich keinen Hinweis auf das Rifugio. Ich habe keine Lust, wieder vor verschlossenen Türen zu stehen, und gehe weiter. Einen Kilometer später tanke ich am Gias Piamian Wasser und bin bereit für die Zeltplatzsuche. Wenig später entdecke ich im steil ansteigenden Wald direkt neben dem Weg eine ebene Terrasse. Da sowas nicht so häufig vorkommt, beschließe ich, den Platz für die Übernachtung zu nutzen. Der einzige Nachteil ist, daß die Bucheckern-Hülsen ziemlich pieksig sind. Alles, was ich beim ersten sorgfältigen Absammeln übersehe, hole ich nach dem Aufbau noch unter dem Zelt hervor.
Zum Abendessen gibt es Chinasuppe und Brot und die letzte Wurst.

Palanfrè ↣ Forte Colle Alto
Die Nacht war die Hölle! Nach Einbruch der Dunkelheit kam ein Schwarm Vögel in die Bäume über mir und machte sich über die Bucheckern her. Dabei kreischten sie so laut, daß ich sie erst für Affen gehalten hatte. Aber Affen in Mitteleuropa? Mit der Stirnlampe kann ich nichts in der Baumkrone erkennen und vertreiben lassen sich die Tiere nicht, weder durch Licht und auch nicht durch Lärm.
Beim Ernten der Bucheckern gingen sie sehr systematisch vor. Ich konnte verfolgen, wie sie den jeweiligen Ast abernteten, weil sie die leere Frucht und kleine Äste jeweils fallenließen, wenn sie damit fertig waren. Die Einschläge auf dem Waldboden kamen langsam näher, dann traf es ein paar mal mein Zelt und danach entfernten sie sich auf der anderen Seite. Die morschen Äste über meinem Zeltplatz hatte ich glücklicherweise schon am Abend entfernt, so daß sie keinen größeren Schaden anrichten konnten. Die aufgeregten Revierstreitigkeiten nahmen über die Nacht ab und am Ende futterten die Vögel schweigend und nur alle 20 Sekunden plumpste was nach unten. Erst mit Sonnenaufgang war der Spuk vorbei. Nur ein Fleck Vogelkacke auf dem Zelt erinnerte an das Geschehen.


Die Überreste
Wieder alles friedlich
Ich mache erst weiter oben Kaffee und esse ein paar Kekse dazu. Im Schatten von einigen stationären Wolken, die fest an den Gipfeln klebten, mache ich mich an den Aufstieg. Einige Terrassen lassen mich glauben, den Lago Albergi erreicht zu haben, aber der kommt wirklich erst ganz oben im Talkessel. Der See ist sehr schön, aber ohne Sonne halte ich das nicht lange am Ufer aus.


Ab dem See wird der Weg sehr steil und rutschig. Erst oben geht der Kies wieder in gewachsenen Fels über, auf dem ich besser laufen kann. Auf dem schmalen Passo di Ciotto Mieu mache ich ein Foto und gehe schnell weiter.

Erst nachdem ich den Schatten der Gipfel-Wolken verlasse, lege ich mich auf eine Wiese und ruhe mich aus und lade nebenbei das Handy aus der Powerbank. Auch mein S5 mini hat wie bisher die S5 und das Alpha mal wieder eine Schnellentladephase gehabt. Gestern Abend stand es noch auf 90 %, am Morgen nur noch bei 20 %. Mit allen Funktechniken ausgeschaltet. Nach einem Neustart und dem Aufladen auf 50 % mit dem Rest aus meiner Powerbank entlädt es wieder normal. Ich habe keine Ahnung, wodurch das verursacht wird.


Ich finde den im Führer beschriebenen mit roten Dreiecken markierten Pfad. Als ich dort einbiegen will, kommt von der anderen Seite eine große Kuhherde, die auch diesen Weg nehmen will. An der Spitze geht ein Pferd. Sie sind früher am Eingang des Weges und ich sehe mich schon hinter der Herde hertrotten. Da ertönt ein Pfiff und das Pferd bleibt stehen und mit ihm die ganze Herde. Der Hirte läßt mich vor und ich nehme die Beine in die Hand, damit ich etwas Abstand zu der Herde gewinne. Die Kühe hinter mir waren verdammt schnell. Der Lohn ist, daß ich als erster an der Kuhtränke vor seiner Farm bin und mir eine Wasserflasche abfüllen kann, bevor die Kühe kommen.

Am heutigen Etappenziel, dem Hotel Arrucador, deutet nichts darauf hin, daß das ein Hotel sein soll. Obwohl ein Auto davorsteht, öffnet niemand. Mühsam recherchiere ich, daß es wirklich dieses Haus ist, direkt am Skilift.

Genervt von so viel Zeitverschwendung fülle ich an einem Bach die restlichen drei Wasserflaschen und gehe bergauf Richtung Colle di Tenda. Die alte Römerstraße ist ziemlich zugewachsen und ich komme unter dem Gewicht des vielen Wassers nur langsam voran. Das Wasser hätte ich mir auch viel weiter oben holen können, denn es stehen entlang des Aufstiegs bis 400 Meter unter dem Paß immer wieder Tränken, die aus Quellen gespeist werden. Ich fülle das unterwegs verbrauchte Wasser nach und auch noch die kleine Flasche aus dem Flugzeug und habe damit 4,25 Liter Wasser mit und einen halben Liter Rotwein.
Ab da gehe ich querfeldein zum Forte Colle Alto in der Hoffnung, im Moränen-Gelände einen ebenen Zeltplatz zu finden. Fündig werde ich allerdings erst ganz oben. Mitten in den Ruinen hatten zwei Leute ihr Zelt aufgeschlagen, die unablässig einen Quadkopter über den Ruinen kreisen ließen.




Ich sehe mir das komplette Gelände an und suche mir an der Stirnseite der Ruinen einen Platz im Hang. Weit genug weg, damit ich nicht von einer einstürzenden Mauer erschlagen werde. Erst nachdem ich das Zelt aufgebaut hatte, fiel mir auf, daß der kleine Kiesweg oberhalb von einigen Motorradfahrern genutzt wurde, die mehrmals um das Fort kurvten. Wer weiß, ob sie mich überhaupt bemerkt haben.


Über dem höchsten Berg der Kette liegen dunkle Wolken und vermutlich regnet es dort. Hoffentlich zieht nicht noch ein Gewitter auf. Ich habe zwar auf einer Seite ein Stück Kasernenmauer über mir, bin aber immer noch recht exponiert. Zwischen den Ruinen wäre es sicherer, aber ich will morgen ausschlafen und nicht früh von Touristen geweckt werden.
Von der langen Etappe bin ich ordentlich hungrig. Es gibt eine Tüte Globetrotter Lunch Nudeln mit Soja-Bolognese und dazu eine kleine Pappe Rotwein.
Morgen erwartet mich die "Königsetappe", die vermutlich deshalb so heißt, weil sie die Längste der ganzen GTA ist. Gehen Könige gerne lange Etappen? Die Route folgt zuerst dem Grenzkamm zwischen Frankreich und Italien und macht noch mal einen Schlenker nach Norden, den ich auslassen werde. Auf dem Kamm gibt es kein Wasser. Weil ich noch genug Vorräte und jetzt auch genügend Wasser mitschleppe, habe ich bei den Übernachtungen freie Wahl.
Forte Colle Alto ↣ Rifugio Don Barbera

Früh beginnt es zu regnen, gerade als ich mir Kaffee machen will. Solange ich noch im Trockenen liege, gehe ich verschiedene Abbruch-Optionen durch, falls der Regen anhalten sollte. Eigentlich wollte ich am Morgen noch Ruinenbilder ohne das Zelt der Nachbarn mit der Panoramakamera machen, aber leider lag alles im dichten Nebel. Der Regen hörte nach einer Weile auf und ich war froh, daß ich nicht unten im Tal übernachtet hatte, denn da hingen dichte Wolken und ich wäre vielleicht auf die dumme Idee gekommen, tatsächlich abzubrechen. Oben auf dem Kamm wurde es dagegen doch noch ein schöner Tag.

Der von Italien aufsteigende Nebel wurde durch den starken Wind aus Frankreich wieder zurückgeblasen und bildete eine sehr scharfe Grenze. Nur 10 Meter Gehen reichten, um aus dickem Nebel in die Sonne zu gelangen. Ich wandere meistens auf der Sonnenseite direkt auf dem Kamm, während die Radfahrer alle im Nebel gefahren sind, weil die Piste auf der italienischen Seite unterhalb des Kamms verläuft. Sehr cool!

Am Fort Pepin habe ich noch genug Power, daß ich den Abstecher um das Fort herum mache. Es war nicht beeindruckender als das, an dem ich übernachtet hatte.


Am Colle della Perla gibt es einen Durchlaß von der italienischen Seite. Ich mache kurz Rast und sehe ab und zu Radfahrer aus dem Nebel kommen, staunen, und wieder im Nebel verschwinden.

Ab dem Colle della Boaria will ich direkt nach Osten zum Rifugio Don Barbera gehen. In OSM fehlt da ein Stück Pfad, aber in der Google-Satellitenansicht war ein Weg zu erkennen. Vom Höhenprofil her sieht der Weg sanft abfallend aus, ohne Problemstellen. Ich biege auf einen Höhenrücken ab, der Kalk- und Karstlandschaft ist. Das Gelände ist durchlöchert wie ein Schweizer Käse. In OSM sind die Namen vieler Höhlen eingezeichnet, ich gehe aber zu keiner hin. Wenn man einfach nur geradeaus laufen würde, fällt man früher oder später in ein Loch und ist weg. Das hatte ich so ausgeprägt nur in den Lefka Ori auf Kreta gesehen. Eine schöne, bizarre Landschaft!










Es gibt einen Weg durch das Gelände, teilweise mit Steinmännchen markiert, und nach einer Stunde stehe ich wieder auf einer festen Schotterpiste, wo ich sofort von mehreren Quads eingestaubt werde.


Für den letzten Anstieg zum Colle del lago dei Signori entkomme ich der Piste noch mal auf einen Wanderweg. Der Parkplatz am Paß ist vollgestellt mit allerlei Gefährten. Schon in Sichtweite des Rifugios biegt noch eine große Gruppe Motoradfahrer in diese Richtung ein. Einer zog einen Rollkoffer hinter sich her. Das verheißt ein volles Refuge.

Ich schaue mir erst mal die Zeltgelegenheiten an, ehe ich im Rifugio vorspreche. Zelten ist kein Problem. Ich stelle mein Zelt neben das von zwei sehr beleibten Bikern auf die Wiese. Essen bekomme ich auch noch, aber weil das Refuge eigentlich voll ist, müssen die Tische umarrangiert werden, damit ich einen Platz finde. Das war sehr nett.

Zurück von der Anmeldung spendieren mir meine Zeltnachbarn eine Tasse voll 2007er Rotwein. Nach und nach belebt sich auch die anfangs leere Zeltwiese noch. Zum Essen sitze ich alleine auf meiner Bank. Meine Sitznachbarn, ebenfalls zwei Biker, kamen erst sehr spät und waren dann so beschäftigt, daß wir nur wenige Worte gewechselt hatten. Es gab als ersten Gang ein Risotto Quattro Stagioni und danach ein seltsames Mittelding zwischen Bratkartoffeln und Chips an Würstchenstücken.


Was ich unbedingt haben wollte, war das Hütten-Tshirt, weil mir das Logo mit dem auf dem Faß balancierenden Dachs so gut gefiel. Die Kellnerin hatte eines an und über der Tür hing eines, aber zu verkaufen gab es nur noch welche in XXL. Schade.

Rifugio Don Barbera ↣ Upega
Am frühen Morgen gab es ein Gewitter, wo ich wieder um mein Leben gebangt hatte. Es ging glimpflich aus. Das Frühstück war nicht so üppig. Ich esse alles auf, was da war.

Wegen des Gewitters und weil heute die Berge wolkenverhangen sind, gebe ich meinen Plan auf, den Kammweg über den Il Ferà weiterzuwandern. Ich will nicht auf einem Kamm gefangen sein, wenn es wieder gewittert. Also entscheide ich mich für die Tal-Variante nördlich des Kamms.

Den laut OSM schräg zum Kamm ansteigenden Sentiero dei Pastori gehe ich ein Stück, bis ich den Weg verliere. Der Weg ist stark mit Unterholz zugewachsen. Ich drehe um und folge weiter dem Talweg bis vor Carnino. Bei den ersten Häusern biege ich nach Süden ab und bin wieder auf der Route des Rother Wanderführers. Die originale GTA würde geradeaus weitergehen und in Viozene enden (beziehungsweise dort beginnen).

Der Wiederaufstieg zum Passo del Lagarè zieht sich. Ganz oben war in der dichten Wolkendecke ein einzelner sonniger Spot. Die Wolken haben sich so wenig bewegt, daß hier über eine Viertelstunde mehrmals die Sonne schien. Ich mache Pause.

Auf der Südseite kommt häufiger mal die Sonne raus und das Gras ist teilweise schon abgetrocknet. Der Abstieg geht über angenehm zu laufende Wiesenhänge. Nur ganz zum Schluß gab es eine matschige Stelle.

Der Zeltplatz besteht aus zehn großen Terrassen, die bis auf die untere alle leer waren. Auf der stand ein zur Abenteuerhütte umgebauter Schrott-Wohnwagen. Am Schlagbaum war ein Schild befestigt, daß man vor Zeltaufbau im Locanda d'Upega fragen soll. Ich tue das und habe freie Platzwahl.

Die Sanitäranlagen waren etwas räudig. Wie üblich nur Klo mit Loch, angerostete Duschbecken mit Bretterrost drin, kein Licht. Dafür gab es eine Gas-geheizte Dusche, die ich ausgiebig nutze. Das war klasse! Ich hole mir aus dem Restaurant ein kleines Bier, melde mich für 19 Uhr zum Dinner an und mache im Zelt Etappenplanung.
Der Rother Wanderführer hat noch 5 Etappen, eine sehr kurze, eine lange und zwei mittlere. Ich habe ebenfalls noch 5 Wandertage übrig, wenn ich noch einen Tag am Meer ausspannen möchte. Es wird also darauf hinauslaufen, die Etappenlängen ein wenig auszugleichen.


Upega ↣ Rifugio La Terza
Um acht gehe ich zum Frühstück ins Locanda d'Upega. Die lichten Birken, die eigentlich ein wenig den Tau abhalten sollten, waren nicht die beste Wahl, denn es tropfte am Morgen von den Birken aufs Zelt.


Die GTA führt direkt durch den Zeltplatz teilweise steil den Hang hinauf. Nach dem Colletta Salse wird das Wetter wieder schön. Schon halb zwölf sehe ich vor mir Piaggia liegen, mit dem Hangrutsch von 2016. Damit ist die heutige offizielle Etappe fast geschafft. Ich steige in den Ort ab, auf der Suche nach dem im Rother beschriebenen Laden. Ich finde ihn nicht, möglicherweise war der mal im Rathaus?

Wenigstens gab es im Ort ein Telefonnetz. Ich konnte zu Hause anrufen und das Wetter checken. Den Weg, den ich gekommen war, gehe ich wieder zurück, bis ich auf den Abzweig zur nächsten Etappe komme. Das Wetter wird schlechter. Den ersten Regen sitze ich unter einem Baum aus, wo ich fast trocken bleibe.

Für den zweiten Regen finde ich eine total abgerissene Holzhütte, wo sowohl Boden als auch Fenster und Tür kaputt waren. Nur das Dach war noch dicht. Zwei Handwerker kamen vorbei und haben das defekte Schild davor entfernt und den Boden herausgerissen, weil die Hütte neu gebaut werden soll. Na dann viel Spaß! Als Erstes sollten sie mal Türen und Fenster verschließbar machen, sonst haben sie das Problem gleich wieder. Nachdem sie wieder weg sind, kommt von der nahen Farm die Ziegenherde und will auch gern in meine Hütte. Ich blockiere den Eingang, kann aber nicht verhindern, daß nach einer Weile Ziegen durch das Fenster an der Rückseite in die Hütte kommen. Zum Schluß legen sich noch 5 große Hunde vor die Tür. Der Hirte macht leider keine Anstalten, sich um seine Tiere zu kümmern oder mir zu helfen. Als der Regen nachläßt, gebe ich meinen Posten auf und gehe weiter.

Neben dem Redentore-Denkmal steht eine Kapelle. In deren Vorraum hätte man zur Not Schutz vor dem Regen gefunden und auch die Nacht verbringen können. Bis zum unbewirtschafteten Rifugio San Remo zu gehen, hatte ich keine Lust, weil der Weg dahin ein ganzes Stück absteigt und ich ohne Schlüssel höchstens daneben zelten könnte. Mehrfach war ein Wegweiser zum Rifugio La Terza zu sehen, das in meinem Führer nicht erwähnt wurde. Diesen Abzweig wollte ich gehen.


Nach 700 Metern komme ich an der Hütte an, die sich als schöne Überraschung herausstellte. Eher im Stil eines Hotels als einer Hütte hat sie einzelne Zimmer mit eigener Dusche. Ich komme in einem Dreibettzimmer unter. Auch der Gemeinschaftsraum mit riesigem Panoramafenster ist sehr hübsch. Außer mir sind nur noch zwei andere Gäste da, die sich den ganzen Abend auf Französisch unterhalten.

Nach Ankunft und Duschen gönne ich mir erst mal ein Bier und setze mich in die Gaststube. Der Wirt zaubert uns ein hervorragendes Menü, so daß wir eine Weile beschäftigt sind. Auch der Wein ist lecker.

Rifugio La Terza ↣ Rifugio Allavena
Nachts kann ich nicht schlafen. Ich wälze mich hin und her, trinke Wasser, weil mir das Essen schwer im Magen lag, aber nichts hilft. Ich höre mir noch einige Kapitel aus Bill Brysons 1827 an, werde aber auch dadurch nicht müde. Gefühlt habe ich die ganze Nacht bis zur Morgendämmerung wach gelegen.
Beim Frühstück erfahre ich, daß einer der beiden, die gestern den ganzen Abend französisch gesprochen haben, ein Tscheche ist. Er war früher mal Bergführer, hat aber mittlerweile einen zu kaputten Rücken zum Wandern. Fürs Radfahren reicht es noch. Die beiden sind mit normalen Fahrrädern unterwegs, um eine Route zu erkunden. Die Hütte bietet sogar eine Ladesäule für E-Bikes, die von vielen Solarpaneelen versorgt wird.

Leider gab es nachts keinen Strom, so daß ich früh erst noch meine Geräte laden mußte. Meine Rundumkamera pfiff auf dem letzten Loch und auch die Akkuanzeige in der normalen Kamera war schon rot. Das wäre nicht mehr lange gegangen. Als Ersatz für den fehlenden Strom gab es Akku-Lampen von Quechua auf den Zimmern, die sehr hübsch aussahen.
Am Morgen gehe ich die 700 Meter bis zur Statue zurück. Nachdem die offizielle GTA in Viozene endete, bin ich jetzt auf der AV unterwegs, der Alta Via dei Monte Liguri. Der Weg verläuft lange auf einem Forstweg in der Flanke des Berges. Die Aussicht wäre aber auch weiter oben nicht besser gewesen, denn es ist neblig.


Als der Regen einsetzt, stelle ich mich zuerst wieder unter einen Baum, aber diesmal hat der Regen mehr Ausdauer und nachdem es auch von den Bäumen tropft, gehe ich im Regen weiter. Ich mußte ja vorwärtskommen. Mein Ziel war das unbewirtschaftete Rifugio Monte Grai. Ich hatte überlegt, ob ich daneben zelten könnte.
Die einzige Abwechslung sind die verfallenen Militärunterkünfte entlang des Wegs. Auch das Rifugio Monte Grai war so eine Station, die zum Refuge gemacht worden und inzwischen wieder verfallen war. Drin und drumrum ist die ehemalige Unterkunft nur ekelig. Ich gehe weiter zum Rifugio Allavena.


Ich treffe zwei Wanderer, die den Weg von dort kommen. Sie haben nicht bemerkt, daß die Hütte geöffnet wäre. Von weitem sehe ich ein Licht brennen, also muß jemand zu Hause sein. Ich klopfe, aber es ist geschlossen. Der Hüttenwirt erklärt mir, daß er in ein anderes Refuge umzieht und gerade seinen ganzen Hausrat verpackt. Er hat nichts dagegen, daß ich in der Nähe zelte.


Ich baue das Zelt ein Stück entfernt unter Kiefern auf. Glücklicherweise habe ich noch 2 Liter Wasser mit und kann mir selber ein Abendbrot machen.
Rifugio Allavena ↣ Rifugio Muratone
Ich koche Kaffee, packe alles zusammen und werfe zum Schluß noch einen Blick in das leere Zelt. Dabei beuge ich meinen Oberkörper in das Zelt, ohne mich abzustützen. Es macht Knacks, Hexenschuss! Ich falle auf den Boden und dabei springt der Wirbel vermutlich wieder in seine alte Position. Die Folge ist, daß ich starke Rückenschmerzen habe und viele Bewegungen nicht mehr machen kann. Ich hatte das früher schon mal, als ich einen schweren Röhrenmonitor vom Tisch gehoben hatte, und weiß, daß es einen Monat dauern wird, bis die Schmerzen weg sind.
Während ich auf dem Rücken liege, verfluche ich den Moment, in dem ich in das Zelt geschaut hatte. Es war unnötig, denn ich wußte, daß das Zelt leer war. Wie nun weiter? Abbrechen? Mich von dem Hüttenpächter irgendwohin fahren lassen?
Nach einer Weile beschließe ich, es zumindest zu versuchen, weiterzugehen. Ich baue das Zelt ab und schnalle es oben auf den Rucksack. Dann bitte ich den Hüttenwirt, der gerade zum Pilzesuchen in den Wald geht, mir den Rucksack aufzusetzen. Ich probiere die ersten Schritte.
Schnell merke ich, daß ich den Oberkörper permanent abstützen muß. Immer wenn ich meinen Wanderstock anhebe, tut es weh. Ich brauche also einen zweiten Wanderstock. Zuerst versuche ich, mir einen aus einem Strauch zu schnitzen, aber mein Messer ist zu stumpf, so daß ich ewig brauche, und das Resultat biegt sich durch, weil es zu dünn ist. Nach drei Kilometern steht an einer Quelle ein solider Knüppel, der mich ab da begleiten wird.

Damit geht es. Ich wandere so, daß ich immer mit einem Arm mit aller Kraft auf den Boden drücke und der Oberkörper die ganze Zeit abgestützt ist. Für Pausen suche ich mir eine Stelle, an der ich den Rucksack erhöht abstellen kann und durch die Schulterriemen nach unten wegtauche. So kann ich den Rucksack ohne fremde Hilfe wieder aufsetzen. Der Weg geht lange durch steile Bergflanken mit schwindelerregenden Ausblicken. Das lenkt ein wenig von den Schmerzen ab.






Die Ost-Umgehung des Monte Torragio ist gesperrt, also gehe ich zurück und nehme die westliche Route. Die ist auch schön. Die Steigung ist gering, nicht zu vergleichen mit der GTA. Das hier ist eher schon seniorentauglich. An einer Quelle fasse ich nochmal Wasser. Es ist warm und mein Verbrauch ist hoch.


Das "Rifugio" Muratone ist ein privates Haus, das aus einer der vielen Militärstationen ausgebaut wurde. Während die ursprüngliche Militärruine vielleicht irgendwo noch ein dichtes Dach hatte, das man als Unterstand hätte nutzen können, bietet das ausgebaute "Rifugio" nichts, was man als Schutz vor den Elementen gebrauchen könnte. Alle Türen sind verrammelt. Selbst das Mini-Vordach über einer Tür hat Löcher. "Rifugio" ist eine krasse Fehlbezeichnung, die man eigentlich in OSM korrigieren müßte.

Ich baue mein Zelt auf der anderen Seite des Wegs an einem Tisch auf. Jede Aktion kann ich nur in Zeitlupe und mit kerzengerade durchgedrücktem Rücken erledigen, wobei ich mich an beiden Stöcken herablasse oder hochziehe. Für Zuschauer hätte das sicher lustig ausgesehen, aber glücklicherweise ist niemand da.

Ich mache meine letzte Tütensuppe aus dem Globetrotter warm und habe nur noch was zum Frühstück für morgen, dann sind die Vorräte erschöpft. Weil ich gestern die Schuhe nicht trocken bekommen hatte, habe ich vier neue Blasen, die ich mit den letzten Pflastern aus dem unterwegs gekauften Nachschub verarzte. Wenigstens wird der Rucksack leichter. Hoffentlich ist mein morgiges Etappenziel, das Rifugio Alta Via offen. Da soll es auch eine Zeltwiese geben, was sich gut anhört.
Rifugio Muratone ↣ Cima Tramontina
Ich bin spät aufgewacht, weil das Zelt unter dunklen Bäumen stand. Wenigstens war es trocken. Zum Frühstück gab es tschechische Leberpastete, die ich schon durch mehrere Gebirge geschleppt hatte und die jetzt endlich alle wurde. Schmeckte ziemlich eklig. Dazu ein Rest Brot und der letzte Kaffee.
Um zehn komme ich los. Den Weg zum gestrigen Etappenziel Rifugio Passo Gouta spare ich mir. Mir kamen einige Pilzsammler entgegen, die leichte Beute hatten, denn der Wald stand dicht an dicht voll mit Pilzen, im Schnitt sicher 1 Pilz/m². Leider habe ich von Pilzen keine Ahnung.

Für den Rest des Tages gehe ich auf einer Schotterstraße, die mit sehr wenig Neigung in die Bergflanke gehauen ist. Es kamen noch 4 weitere Militärgebäude, deren Dächer größtenteils dicht waren und die offen waren oder bei denen die Türen fehlten, die den Titel "Rifugio" sicher eher verdient hatten, als das "Rifugio" Muratone.


Tunnel
Militärgebäude
Das Wetter war erst schön und wurde wie auch an den Tagen zuvor über den Tag schlechter. 15 bis 16 Uhr gab es das erste Gewitter, das ich noch ausgesessen habe.
Dadurch erreiche ich erst kurz nach 18 Uhr mein Ziel. Auch dieses Refuge war zu, das Gelände war abgesperrt. Auf Klingeln und Anruf antwortet niemand. Auch in der Nähe gab es keine Alternativen für ein Zelt. Alle Grundstücke waren mit hohen Zäunen von der Straße getrennt. Schon für Fußgänger blieb kaum Platz.

Etwas weiter entdecke ich das Werbeschild eines anderen Agriculture. Ich rufe an und bekomme gesagt, daß der Betrieb dieses Jahr wegen Covid ausfällt. Noch etwas weiter verschwindet ein Wildschwein von der Straße in den Busch.
Entlang der Straße etwas zu finden mache ich mir keine Hoffnung mehr, dazu ist die Gegend zu stark besiedelt. Ich gehe die AV-Route zurück zum Monte Erisetta. Es nieselte leicht und ich hoffte, daß die großen Gewitter heute ausgestanden wären. Der Aufstieg ist mühselig, weil der Weg über mehrere steinerne Schanzen führt, die sehr rutschig sind und viel Kraft kosten. Auf dem Cima Tramontina mit dem Funkturm drauf finde ich keinen Platz für mein Zelt. Der Wanderweg bis dahin war auch relativ schmal bis auf eine Stelle genau im Sattel. Bis dahin gehe ich zurück und baue das Zelt auf.

Keinen Moment zu früh, denn schon wieder geht ein Gewitter los. Es prasselt so heftig auf das Zelt ein, daß es durch die Zeltplane sprüht. Es gab einige Windböen, aber durch die doppelte Stange steht das Zelt auch ohne die seitlichen Abspannungen stabil genug. Ich ziehe im Zelt die Regenklamotten an und lege mich flach auf die Isomatte. Mehr Angst als vor dem Wind hatte ich vor den Blitzen. Der Sattel war gegenüber den Gipfeln nicht sehr tief eingeschnitten und es standen nur niedrige Bäume rundum, so daß die Lage noch sehr exponiert war. Wenigstens hatte ich eine Elektroleitung in der Nähe, die die Blitze entweder anzog oder ableitete.
Als das Gröbste vorbei war, mache ich Mitternacht aus den verbliebenen Lebensmittelresten ein Abendbrot. Ich hatte noch einen Rice Cup aus dem DM und eine Cremesuppe Ablaufdatum 2019, die beide nicht toll schmeckten. Wasser hatte ich schon 9 Kilometer vorher genug mitgenommen, weil Quellen rar waren. Für morgen habe ich an warmen "Mahlzeiten" nur noch eine heiße Tasse mit wenigen Gramm Füllung, wo sicher kein üppiges Mahl draus wird, und zwei heiße Schokoladen. Fürs Frühstück noch einige Knäckebrote, eine mini Leberwurst, zwei Quittengelee-Ecken und einen kleinen Topf Pesto.
Nachts um eins ziehe ich die Regensachen aus und krieche in meinen Schlafsack.
Cima Tramontina ↣ Ventimiglia
Ich mache Frühstück mit den Resten und koche mir eine heiße Schokolade. Die Gaskartusche ist noch halbvoll, da habe ich viel umsonst mitgeschleppt.

Der Sendemast auf dem Cima Tramontina ist im Rückblick noch lange zu sehen. Vor mir taucht im Dunst das Meer auf. Buckel um Buckel verliere ich an Höhe. Bis ich auch mein Ziel, Ventimiglia, sehe, ist es noch ein ganzes Stück. Ich bin angespornt davon, daß die Tour heute zu Ende geht. Am Nachmittag, nach einigen Kilometern Wandern, sind die Schmerzen des Hexenschusses auf das Niveau meiner anderen Schmerzen zurückgegangen, die mir Schulter- und Hüftgurt und die Blasen an den Füßen zufügen. Es ist alles gut auszuhalten.
Vorne das Meer Hinten der Sendemast
Die Küste ist, ohne daß Ortsgrenzen zu erkennen sind, durchgehend bebaut. Direkt darüber thront ein Steilhang, durch den sich staubige Serpentinen nach unten winden.



Blick nach Osten
Blick nach Westen
Am Ortseingang lege ich meinen Holzknüppel ab, der mich so gut bis hier gebracht hat. Bevor ich im Hotel einchecke, gehe ich an den Strand, um die Wanderung vollständig abzuschließen. Weiter nach Süden geht es nicht. Es herrscht starker Wind und hoher Wellengang. Niemand ist im Wasser.

Schon in Piaggia hatte ich den Handyempfang genutzt und mir für zwei Nächte ein Zimmer im Hotel gebucht, dem Sole Mare. Die Dame am Empfang meint, daß es ein Hotel der Kette auch in Dresden gibt, weiß aber nicht, wie das heißt. Ich weiß es natürlich auch nicht. Ich habe Meerblick, sehe allerdings auf einen kreisrunden Hafen, an dem tagsüber gebaut wird.


Nach einer ersten Säuberung gehe ich 17 Uhr einkaufen, damit ich abends im Hotel was zu Essen habe. Es gibt überraschenderweise deutsche Sender im Fernseher und ich verbringe den Abend mit auf dem Bett liegen und fernsehen. Es kam auf einem Kanal der Bulle von Tölz und außerdem Snooker.
Ventimiglia
Durch Corona ist das Frühstücks-Procedere etwas komplizierter geworden. Man kann nicht mehr selber vom Buffet nehmen, was man will, sondern sagt das einem Kellner, der das vom Buffet auf meinen Teller legt, mit dem ich vor dem Buffet stehe. Glücklicherweise war das Hotel nicht besonders voll. Die Auswahl war gut, die Qualität war besseres Mittelmaß.
Danach erkunde ich die riesige Altstadt von Ventimiglia. Es gibt viele enge Gassen mit alten Gebäuden. Der Wind hatte sich gelegt und die Sonne schien.





Organisch gewachsen
Schattenuhr


Anleitung zum Gebrauch der hiesigen Toiletten
Fliegender Wal


Abendstimmung
Meer abends
Turin
Wegen des unmöglichen Rückflugs verbringe ich den Tag damit, mit dem Zug nach Turin zu gelangen. Weil ich nicht früh um drei Uhr ein Taxi suchen möchte, fahre ich gleich bis zum Flughafen. Ich hatte mir ein Quartier gebucht, von dem aus ich am nächsten Morgen zu Fuß zum Flughafen laufen konnte.
Das La Montrucca Camere liegt ansonsten voll in der Pampa. Weil ich früh raus muß, mache ich dort nichts weiter, als schlafen. Für das ausgefallene Frühstück bekomme ich ein paar Kleinigkeiten zum Mitnehmen.

Heimflug
Wegen Corona war dieser Urlaub einen Tick abenteuerlicher als sonst. Ich freue mich, daß ich das Kapitel GTA hiermit abgeschlossen habe. Der westliche Alpenbogen ist eine wunderbar einsame Wanderregion, die mir sehr gefallen hat. Mal sehen, wohin mich meine Füße als Nächstes tragen.
