

Hier geht es um verschiedene Techniken, die das Wandern im Gebirge erleichtern.
Das Islandpferd ist stolz darauf, fünf Gangarten zu beherrschen. Ich kann wesentlich mehr. ;-)
Jahrelang haben sich meine Freunde und auch ich gewundert, warum ich mit schwerem Rucksack ohne jegliches Training ohne Wanderstöcke laufen kann, ohne daß mir was weh tut. Auf meinen vielen Wanderungen hatte ich genügend Zeit, darüber nachzudenken.
Vielleicht zur Einordnung noch diese Zahlen vorab: Ich wiege seit Jahren 73 Kilogramm, mein Rucksackgewicht beträgt häufig 18-22 Kilo. Dazu kommen noch 3 Kilo Klamotten, Kamera, etc. am Körper. In Summe sind das zirka 95 kg, die auf den Berg gehievt und wieder abgelassen werden müssen.
Bergauf
Beim Bergauf-Gehen kommt es darauf an, durch Einsatz der Muskeln mit jedem Schritt 5 - 15 Zentimeter Höhe zu gewinnen.
Naheliegend wäre, das mit dem Kniegelenk zu erreichen, welches die Natur anscheinend für diesen Zweck geschaffen hat. Wer sich schon mal aus der Hocke aufgerichtet hat, weiß, daß das sehr viel Kraft erfordert, wenn das Gelenk weit gebeugt ist. Die Muskelpakete, die man für das Strecken des Beines braucht, müßte man am Oberschenkel mitführen und bei mir ist da definitiv nicht viel. Einfache Abhilfe ist, kürzere Schritte zu machen. Damit reduziert man die in jedem einzelnen Schritt nötige Beugung des Knies. Mehr als 10 Zentimeter Hub sollte man den Kniegelenken auf Dauer nicht zumuten.
Ich vermeide also nach Möglichkeit, Schritte allein aus dem Kniegelenk zu machen. Wie aber sonst? Nun, da gibt es die Hüfte. Wenn man sich gerade hinstellt, kann man nur durch das Hüftgelenk einen Fuß um zwei Zentimeter anheben. Das nutze ich mit jedem Schritt aus. Die für das Verstellen der Hüfte nötige Beckenmuskulatur hat man meist in ausreichender Menge. Ich hatte zumindest noch nie einen Muskelkater in der Gegend. Man muß beim Gehen auch nicht schwanken wie ein Schiff in hoher See, weil der Oberkörper die Biegung der Hüfte ausgleichen kann.
Setzt man die Füße nicht direkt nebeneinander auf, sondern in weitem Abstand, ergibt sich eine weitere Möglichkeit, die Kniegelenke nicht stark beugen zu müssen. Man braucht nur eine Energiequelle, die den Körper auf das entsprechende Niveau anhebt.
Da kommen die Fußgelenke ins Spiel. Sie heben den Körper im Stand problemlos 5 Zentimeter an. Manchmal sind auf Wanderwegen Stufen aus Holzbohlen in sehr weiten Abständen anzutreffen. Hier kann man wunderbar erproben, bei gestreckten Beinen nur mit Fußgelenk und Hüfte nach oben zu kommen. Der nach oben angewinkelte Fuß muß auf die Kante der Stufe vor einem mit den Zehen oder dem Ballen auftreffen. Während des Schritts ändert sich die Stellung des Fußes von maximal nach oben angewinkelt zu maximal gestreckt. Das ist für den Fußballen ein Hub von 15 Zentimetern! Dazu noch 2-3 Zentimeter aus der Hüfte, das reicht für so eine flache Stufe. Weil das nur dynamisch funktioniert (schließlich muß der Körper sich pro Stufe einen Meter nach vorn bewegen), erreicht man irre Geschwindigkeiten und muß irgendwann mal verschnaufen, denn der Körper kann nicht endlos diese Leistung liefern.
Auf flachen Straßen oder Wegen kann man den Fuß leider nie mit nach oben angewinkelter Spitze aufsetzen, weil dann die Ferse im Weg ist. Im Gebirge suche ich gezielt nach freistehenden Rippen oder Felsen auf dem Pfad, die diese Art Schritt ermöglichen.
Als kleines Indiz, wie viel ich über die Fußgelenke erreiche, mag dienen, daß meine Fußgelenke nach Gebirgstouren ordentlich angeschwollen sind. Ansonsten sehe ich aus wie vorher.
Falls es sehr steil wird, nutze ich gerne meine Armmuskulatur als weitere Energiequelle. Entweder durch Aufstützen auf ein Geländer oder das Ziehen an Griffen im Fels oder Festhalten an Bäumen. In solchen Situationen sind Wanderstöcke für mich eher hinderlich. Ich vertraue lieber auf meinen Griff am Unterstützungspunkt.
Bergab
Beim Bergab-Gehen muß die potentielle Energie des Körpers und des Rucksacks in Wärme umgesetzt werden.
Auch hier ist die schlechteste Idee, das allein mit den Kniegelenken erreichen zu wollen. Prinzipiell kann die Oberschenkelmuskulatur durch Anspannen beim Absenken des Körpers das leisten, daß alles, was über dem Kniegelenk ist, sanft abgesenkt wird. Das kostet viel Energie.
Auf harten Untergründen werden zudem die Füße und Unterschenkel beim Aufsetzen abrupt abgebremst. Man kann mit den Muskeln gegensteuern, so daß der Fuß sanft aufsetzt, aber auch das kostet Energie und benötigt Aufmerksamkeit, die man am Ende eines anstrengenden Tages vielleicht nicht mehr aufbringt. Falls man den Fuß beim Aufsetzen nicht optimal abgebremst hat, übernehmen den Rest die Sehnen und Gelenke in Fuß und Knie. Das tut irgendwann weh.
Besser ist es, die Natur die potentielle Energie abbauen zu lassen, ohne die eigenen Muskeln verwenden zu müssen.
Paradebeispiel ist das "Abfahren" auf losem Geröll. Man stemmt sein leicht angewinkeltes Bein in den Kies und rutscht 30 Zentimeter nach unten, bis die Reibung der Steine aufeinander alle Energie in Wärme verwandelt hat. Dann im nächsten Schritt wieder 30 Zentimeter, alles ohne Muskelaufwand und ohne Erschütterungen, die Sehnen und Gelenke aushalten müssen! Das könnte man endlos machen, nur leider ist das Geröllfeld irgendwann zu Ende. Wenn man weiter als 50 Zentimeter rutscht, war das Geröllfeld zu steil und man sollte versuchen, in flachere Gebiete zu kommen.
Man sollte am Berg nie auf Geröll treten, das in weniger als zwei Schichten über felsigem Untergrund liegt! Hat man nur eine einzelne durchgehende oder gar nur teilweise Schicht Kies auf Fels (man sieht den Untergrund durchscheinen), gibt es zu wenig Reibung zwischen den Kieseln und man surft ungebremst auf den rollenden Steinen ins Tal, meist mit Landung auf dem Hosenboden. Das mag die alten Ägypter zu ihrer Transporttechnik inspiriert haben. Besser ist es, auf vom Vorgänger zusammengeschobenes Geröll auszuweichen oder die Kiesel beiseitezuschieben, damit der Fuß auf blankem Fels steht.
Es gibt weitere Untergründe, die den Abbau der potentiellen Energie für uns übernehmen. Mein Favorit sind getrocknete Spuren großer Reifen in Lehm, die beim Auftreten sanft nachgeben und sich in flachen Boden verwandeln. Diese Verformung ist rein plastisch, die Reifenspur federt nicht zurück. Im besten Fall federt zusätzlich der Untergrund.
Mit einem 100% federnden Untergrund würde man keine Energie abbauen, sondern endlos umherhüpfen. Glücklicherweise gibt es so was in der Natur nicht. Beim Herabdrücken und wieder Hochfedern gibt es immer auch Reibung. Die angenehmsten Böden sind für mich Nadelwald oder Wiesen mit kurzem Gras. Auf wenig geneigter kurz gemähter Wiese kann man versuchen, mit gestrecktem Bein und nur mit Hüfte bremsend in langen Schritten abwärts zu laufen. Man erreicht eine irre Geschwindigkeit, muß sich aber sicher sein, daß der Fuß beim Auftreffen immer Halt findet. Rutscht der Fuß weg, landet man unweigerlich auf der Wiese. Waldboden eignet sich wegen der Wurzeln eher nicht für diesen Laufstil oder man muß sehr schnell wieder ins normale Tempo umschalten können, falls der Boden vor einem nicht mehr vertrauenswürdig aussieht.
Wenn der Weg aus Felsen oder Straßenpflaster besteht, kann man nach großen Steinen Ausschau halten, auf deren uns zugewandter Seite man den Fuß mit der Spitze aufsetzt und mit dem Fußgelenk die Höhe reduziert. Das schont für diesen Schritt das Kniegelenk. Manchmal ist der Rand alter Militärstraßen aus großen Steinen gebaut, die diese Art Abstieg über längere Strecken ermöglichen. Auch hier komme ich sehr schnell voran.
Wenn kein Wald- oder Wiesenboden vorhanden ist, tut es auch eine Staub- oder Schotterstraße. Auch die federt etwas zurück und ist allemal besser als Asphalt oder Beton. Generell ist die Mitte zwischen den Fahrspuren nicht so stark durch Fahrzeuge verdichtet und damit elastischer. Wenn man Glück hat, wächst dort sogar Gras. Das kann man auch als Naturfreund getrost zertrampeln, denn es gehört da eigentlich nicht hin. Nur bei extrem steilen Stellen freue ich mich mal über eine aufgerauhte unbemooste Beton-Straße, weil ich mir da sicher bin, nicht auszurutschen.
Apropos Rutschen: Bei jedem neuen Schuh muß man sich aufs Neue herantasten, wo die Limits liegen, auf Kalkstein, Granit, Lehm, Schotter, nassem Laub … . In brenzlichen Situationen sehe ich zu, daß ich auf eine waagerechte oder zu mir geneigte Fläche trete. Rutschgefahr ist auf Gras oder in meine Richtung geneigten ausgetretenen Bodenkuhlen generell geringer als auf glattem Lehm. Das ständige Suchen nach dem nächsten Tritt macht meine Abstiege manchmal langsamer als die Aufstiege.
Geht der "Wanderweg" partout über eine Asphaltstraße, laufe ich bergab möglichst auf dem Gras- oder Schotterstreifen daneben. Ab und zu wollen reiche Gemeinden Wanderern und Radfahrern gleicherweise etwas Gutes tun und legen kombinierte asphaltierte Rad-/Fußwege an. Manchmal haben diese Wege keinen Seitenstreifen, aber die ebenfalls asphaltierte Straße hat einen. Das führt zu der absurden Situation, daß ich neben der Straße laufe, statt auf dem Fußweg.
Da ich permanent all das oben Genannte beachte, habe ich auch bei Abstiegen von 1500 Metern am Tag keine Knie- oder Fußschmerzen. Ich könnte also auf Wanderstöcke verzichten, die ohne Frage noch eine extra Entlastung der Knie bringen. Tatsächlich habe ich häufig nur einen Wanderstock dabei, um mich bei Ausrutschern abfangen zu können. Den brauche ich ohnehin für Panoramaaufnahmen mit meiner 360°-Kamera. Ich verwende ihn wie einen Spazierstock. Er ist so kurz eingestellt, daß ich mich bergab mit gestrecktem Arm darauf abstützen kann, ohne den Arm beugen zu müssen. Für das Armgelenk gilt wie für das Kniegelenk, daß man nicht sinnlos seine Kraft bei zu weit gebeugten Gelenken verausgaben sollte. Bergauf fasse ich ihn weiter unten. Es ist also vorteilhaft, wenn er einen längeren wärmeisolierten Griff hat. Die Handschlaufe schneide ich ab, wenn sie sich nicht anders entfernen läßt. Ich verliere sehr selten mal einen Stock aus der Hand. Eigentlich nur, wenn ich aus Versehen dagegen trete, weil ich unaufmerksam bin. In so einem Fall will ich nicht auch noch mit dem Stock verbunden sein und darüber stolpern.
Wenn man nur einen Wanderstock hat und einen Fuß schonen möchte, muß man den Stock in die Hand nehmen, die dem verletzten Fuß gegenüber liegt. Es sei denn, man will gleichzeitig noch zum Paßgänger umschulen oder man gehört zu den wenigen Prozent der Menschheit, die Paßgänger sind (also gleichzeitig beim Laufen den rechten Arm und den rechten Fuß nach vorne bringen). Auch wenn es erst mal unlogisch aussieht, den Stock nicht in der Nähe des zu unterstützenden Fußes zu haben, ist die Wirkung gleich. Für beste Unterstützung setzt man den Stock mit jedem Schritt auf, was man automatisch richtig macht, wenn man den Stock in der Hand gegenüber des Problemfußes hat.
Im Jahr 2020 hatte ich mir kurz vor Schluß der Alpenquerung einen Hexenschuß geholt. Es war sehr hilfreich, mir sofort einen zweiten Stock zu basteln, damit ich mit beiden Stöcken den Oberkörper ununterbrochen entlasten konnte. Ich lehne also Stöcke nicht ab, nur mir persönlich sind sie manchmal zu viel.
Das ständige Beobachten des Bodens, um nicht auszurutschen und all die Schritt-Varianten ausführen zu können, fordert allerdings seinen Tribut beim Konzentrationsvermögen. Es ist wichtig, das durch kurze Pausen etwa jede Stunde wieder zu regenerieren, sonst drohen Fehltritte. Nebeneffekt ist, daß sich auch Knie und Gelenke wieder erholen.
Geradeaus
Abwechslung verhindert Ermüdung
Beim Geradeausgehen gibt es nicht viel zu beachten. Ich bin meist relativ schnell unterwegs, damit ich die schwere Last auf den Schultern nicht so lange tragen muß. Es ist hilfreich, all die vorgenannten Techniken auch in der Ebene einzusetzen, dann können sich einzelne Muskelgruppen und Gelenke auch während des Gehens erholen. Oft mache ich keinen Halt, wenn der Weg nach einem langen Aufstieg in die Horizontale oder wieder abwärtsgeht, weil ich diese Stellen genauso zum Ausschütteln der Glieder oder etwas schneller Laufen verwenden kann.
Eine spezielle Gangart habe ich mir bei Keen-Sandalen auf Lehm angewöhnt: den Stechschritt. Diese Schuhe haben wie bisher keine anderen den Hang dazu, Lehm unter sich anzusammeln. Nach dem ersten Schritt hat man einen Zentimeter drunter, nach dem zweiten zwei und immer so weiter. Nach wenigen Schritten rutscht man auf Plateauschuhen durch die Gegend. Ich war ziemlich verzweifelt in Italien auf einem lehmigen Weg mit Zäunen rechts und links, als ich auf diesen Schritt verfallen bin. Man wirft den Fuß mit aller Kraft nach vorne, daß sich der Lehm in jedem Schritt wieder löst und nach vorn wegfliegt. Sehr kraftraubend und man darf nicht gesehen werden! Zum Üben empfehle ich, Videos russischer Militärparaden auf dem Handy mitzuführen. :-)
Schweren Rucksack schmerzfrei tragen
Vermeiden einseitiger Belastung.
Ich bin häufig mit 18 bis 22 Kilogram schwerem Rucksack unterwegs. Das erhöht einerseits den Druck auf den Bewegungsapparat. Andererseits stellt mich auch die Befestigung dieser Last am Körper vor Herausforderungen. Ab und zu blicke ich neidisch auf die Hüften von vor mir laufenden Frauen, die wunderbar abgeschrägt ein einfaches Abstellen des Rucksacks darauf zulassen. Meine Hüften sind eher gerade und es bedarf ziemlicher Kraft, den Hüftgurt darauf so festzuschnallen, daß er nicht durchrutscht. Die dünne Fleisch- und Hautschicht auf meinen Hüften sieht nach einiger Zeit sehr mitgenommen aus. Auch aus diesem Grund mache ich es mir zur Angewohnheit, jede Stunde kurz zu rasten.
In der Outdoorbranche gilt die Regel, daß 80% des Rucksackgewichts auf der Hüfte getragen werden sollen und der Rest auf den Schultern. Wenn meine Hüften wundgescheuert sind, weiche ich manchmal stark davon ab. Ich habe festgestellt, daß ich auf den Schultern deutlich mehr tragen kann als 20%. Die hohe Kunst ist, nicht erst auf Schmerzen zu warten, sondern von vornherein das richtige Belastungsverhältnis einzustellen, damit weder Schultern noch Hüfte weh tun. Auf einigen Touren habe ich das durchgehend geschafft, auf anderen nicht.
Um noch mal auf den einleitenden Satz zurückzukommen: Ich kann außerdem auf zwei Beinen und auf einem Bein hüpfen. Das kann das Islandpferd auch nicht. Hab ich allerdings im Gebirge noch nie gebraucht. :-)
